Wie Tuberkulose unsere Immunabwehr austrickst.

                                

Mikrobologie in kleinen Häppchen

Wie Tuberkulose unsere Immunabwehr austrickst.

Ein Fall für die Geschichtsbücher

Weiße Pest, Skrofulose, Schwindsucht, Roter Tod, Phthise oder Tuberkulose – all das sind Bezeichnungen für eine der ansteckendsten und tödlichsten Krankheiten der Welt. Die als Tuberkulose (TB) bekannte Krankheit wird durch ein Bakterium namens Mycobacterium tuberculosis (MTB) verursacht. MTB verursacht ein schnelles Absterben der Zellen in einem Prozess, der letztendlich das gesunde Zellgewebe in einem infizierten Organismus überwältigt. Die Tuberkulose hat die Menschen bereits 4000 v. Chr. geplagt, und obwohl sie heute in vielen Industrieländern wenig verbreitet ist, richtet sie in den Entwicklungsländern nach wie vor verheerende Schäden an. Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation zufolge war Tuberkulose bis 2019 die Infektionskrankeit mit den meisten Todesfällen (1,4 Millionen im Jahr 2019¹) und wurde erst kürzlich von der COVID-19-Pandemie in den Schatten gestellt. Die Behandlung erfordert eine sechs- bis achtzehn-monatige, intensive medikamentöse Therapie, die bei einem multiresistenten Stamm noch komplizierter wird. Doch wie genau gelingt es dieser hartnäckigen Krankheit, sich in ihrem Wirt auszubreiten?

Das entscheidende Merkmal der Gattung Mycobacterium, welches Tuberkulose so widerstandsfähig macht, ist ihre einzigartige Zellwand, die zum größten Teil aus Mykolsäure besteht. Die Mykolsäure verleiht dem Bakterium eine Resistenz gegen Austrocknung und chemische Schäden sowie eine erhöhte Resistenz gegen Antibiotika. Dementsprechend sind Mykobakterien in der Lage, über längere Zeiträume sowohl innerhalb als auch außerhalb von Wirtsorganismen zu überleben. Die wichtigste Folge dieser erhöhten Widerstandsfähigkeit des Bakteriums ist seine Fähigkeit zu überleben, nachdem es von Makrophagen, den Zellen der Immunabwehr, die fremde und eindringende Organismen unschädlich machen, verschlungen wurde. MTB kann dann, im Gegensatz zu anderen Bakterien, selbst Makrophagen als Wirtszellen für die Replikation zu nutzen.

Rasterelektronenmikroskopische Aufnahme von Mycobacterium tuberculosis, das Bakterium, das Tuberkulose verursacht. Quelle: NIAID

Den Mund zu voll nehmen

MTBs sind in der Lage, die meisten Zerstörungsversuche der Makrophagen entweder zu hemmen oder ihnen auszuweichen. Fremde Substanzen, die von Makrophagen aufgenommen werden, werden in einem Bereich der Makrophagen-Zelle eingeschlossen, die Phagosom genannt wird. Nach dem Verzehr eines Krankheitserregers verbindet sich das Phagosom mit einem weiterem Organell, dem Lysosom, welches verschiedene Verdauungsenzyme enthält. Durch das Verschmelzen dieser beiden Organelle entsteht ein Phagolysosom, das den pH-Wert bzw. den Säuregehalt seiner eigenen inneren Umgebung senken kann. Wenn der interne pH-Wert des Phagolysosoms sinkt, wird alles, was das ursprüngliche Phagosom enthielt, abgebaut. Um dies zu verhindern, bremst MTB die Rekrutierungs von Lysosomen aus. Hierfür schüttet MTB Proteine aus oder unterdrückt die Expression einiger Makrophagengene, die bei der Rekrutierung von Lysosomen eine Rolle spielen. Dadurch verlangsamt MTB nicht nur einen Großteil des Makrophagenwachstums, sondern stellt auch sicher, dass die Makrophage weiterhin als Wirtszelle zur Verfügung steht. Für Phagosomen, die dennoch erfolgreich mit den Lysosomen fusionieren, hat MTB einen Plan B: Es hemmt die Fähigkeit der Makrophagen, den internen pH-Wert zu senken, indem es die Zellmembran des Makrophagen verändert. Bei diesem überdurchschnittlich hohen pH-Wert innerhalb des Phagolysosoms kann MTB der Immunreaktion entgehen und im Makrophagen überleben.

Wenn ein Makrophage nicht in der Lage ist, einen Krankheitserreger zu zerstören, hat er zwei Möglichkeiten. Erstens können Makrophagen durch Apoptose, also programmierten Zelltod, das Bakterienwachstum stoppen. In diesem Fall wird das MTB aus dem Wirtsmakrophagen freigesetzt. Dadurch wird das MTB zwar nicht zerstört, aber es wird zumindest verhindert, dass das MTB den Makrophagen als Wirt für seine Vermehrung nutzt.  Es besteht auch die Möglichkeit, dass der nächste Makrophage, der das neu freigesetzte MTB aufnimmt, in der Lage ist, es abzubauen. Zweitens können die Makrophagen ein Granulom bilden, um das MTB vom Rest des Körpers zu trennen und es inaktiv zu machen. Ein Granulom ist eine große Ansammlung von Zellen, die Krankheitserreger so in ihrem Zentrum begraben, dass die Bakterien nicht mit dem Körper interagieren können. Der programmierte Zelltod geht im Inneren des Granuloms weiter, wodurch ein Kern aus toten Zellen innerhalb des Granuloms entsteht und die Ausbreitung der Krankheit auf ansonsten gesundes Gewebe verlangsamt wird². Allerdings ist auch diese Strategie nicht vollständig wirksam bei der Eliminierung von MTB.

In Sichtweite versteckt

Der Kern aus abgestorbenen Immunzellen innerhalb des Granuloms kann sich immer weiter ausdehnen, bis das Granulom kollabiert. Dies kommt vor allem dann vor, wenn das Immunsystem des Wirts aufgrund verschiedener Faktoren wie Alter oder Krankheit geschwächt ist. Durch das Auseinanderbrechen des Granuloms gelangt das aktive MTB erneut in den Wirtsorganismus und kann nahe gelegenes Gewebe infizieren. Noch beunruhigender ist, dass MTB in der Lage ist, Jahrzehnte in einem Granulom zu überleben und erneut aktiv zu werden. Granulome erfüllen zwar eine wichtige Funktion, indem sie das MTB eindämmen und die Immunreaktion auf eine einzige Region beschränken, sind aber nicht in der Lage, das MTB vollständig zu zerstören. Somit sind  Granulome bei einer TB-Infektion tickende Zeitbomben. In ihrem TB-Weltbericht 2018 berichtet die WHO, dass schätzungsweise ein Viertel der Weltbevölkerung mit einer latenten oder aktiven Form der TB¹ infiziert ist.

Granulome werden durch den gesamten Körper transportiert, während sie inaktiv sind, und können daher jeden Teil des Körpers mit TB infizieren, sobald sie aufplatzen. Es gibt Fälle von Menschen mit Tuberkulose in der Wirbelsäule, im Auge, in den Genitalien und in fast jedem anderen Organ, das man sich vorstellen kann. Glücklicherweise ist die einzige übertragbare Form der TB die Infektion der Lunge. Diese Form der Tuberkulose ist jedoch so unglaublich ansteckend, dass die meisten Industrieländer umfangreiche Tuberkulose-Kontrollprogramme eingerichtet haben, um Massenausbrüche zu verhindern¹. Trotz dieser Bemühungen bleiben Länder mit weniger Ressourcen Hotspots für neue und zunehmend arzneimittel-resistente Tuberkulosestämme. Die jüngsten Bemühungen der WHO zielen deshalb darauf ab, die Auslandshilfe zu erhöhen, um diese Epidemie einzudämmen. Die Aufstockung der Ausrüstung zur Erkennung und Verfolgung der Ausbreitung von Tuberkulose im Ausland soll die effektivere Verfolgung von  Ausbrüche ermöglichen. Ein weiterer Schwerpunkt ist die Erforschung neuer Diagnose-Methoden zur Erkennung von TB bei Patientinnen und Patienten mit latenten Formen der Krankheit. Mit Hilfe dieser neuen Methoden hofft die WHO, diese Jahrtausende alte Epidemie bis zum Jahr 2035¹ zu beenden.


Link zum Originalbeitrag: Zhai, W., Wu, F., Zhang, Y., Fu, Y., Liu, Z. (2019, January 15). The immune escape mechanisms of Mycobacterium tuberculosis. MDPI. https://www.mdpi.com/1422-0067/20/2/340.

Quellen:

  1. World Health Organization. Global tuberculosis Report. https://www.who.int/teams/global-tuberculosis-programme/tb-reports.
  2. Gengenbacher, M., & Kaufmann, S. H. E. (2012, May 1). Mycobacterium tuberculosis: Success through dormancy. OUP Academic. https://academic.oup.com/femsre/article/36/3/514/634506.

Titelbild: https://www.flickr.com/photos/niaid/5149398656


Übersetzt von Melissa Jansing