Magnetwaffen gegen Tumore.

                                

Mikrobologie in kleinen Häppchen

Magnetwaffen gegen Tumore.

Woran denkst du bei dem Wort “Magnet”? Vielleicht an verschiedene Kühlschrankmagnete? Oder an die typischen, roten U-Magnete aus Zeichentrickserien? Vielleicht kommt dir auch ein Kompass in den Sinn. Doch was haben Bakterien mit Magneten zu tun? Forschende haben aquatische Mikroorganismen untersucht, die ähnlich wie Kompasse funktionieren. Diese magnetotaktischen Bakterien (MTB) nehmen das Magnetfeld der Erde wahr und reagieren darauf. Aber warum? MTB leben in Habitaten mit wenig Sauerstoff – in sogenannten mikroaeroben Milieus – und gedeihen dort typischerweise in oxisch-anoxischen Übergangszonen. Diese Übergangszonen beschreiben Bereiche in Süßwassersedimenten mit vertikalen chemischen Gradienten, die reduziertes Eisen und Sulfid sowie Sauerstoff enthalten. MTB nutzen ihre magnetischen, kettenartigen Organellen – Magnetosomen genannt (siehe Abbildung) – um den besten Ort mit einer geeigneten Sauerstoffkonzentration zu finden. Einfach ausgedrückt: MTB gehen dorthin, wohin die geomagnetischen Feldlinien sie hinführen.

Abbildung eines magnetotaktischen Bakteriums. Übernommen aus:– http://thesaurus.rusnano.com/wiki/article23635,  CC BY-SA 3.0,  https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=30919616

Klingt spannend, aber wie kann daraus ein Nutzen gezogen werden? Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen führten Experimente mit anorganischen magnetischen Nanopartikeln (MNP) durch – winzigen Eisenoxidobjekten. Diese sind klein genug, um Zellen zu durchdringen, bieten aber gleichzeitig eine gewisse Kompatibilität mit anderen biologischen Strukturen (z. B. Zellmembranen). Diese Experimente führten zum Schrumpfen von Krebstumoren. Könnte man die magnetischen Nanopartikel vielleicht sogar mit Medikamenten beladen, die Tumore angreifen? Die Forschenden haben genau das versucht, sind aber bald auf einige Hindernisse gestoßen. Erstens dringen die Nanopartikel nur bis zu einem gewissen Grad in die Zellen ein, was die Präzision und Genauigkeit der Medikamentenlieferung zu den entsprechenden Zellen einschränkt. Dies bedeutet, das der Wirkstoff ungleichmäßig verteilt wird oder sein Ziel nicht vollständig erreicht, wodurch sein ursprünglicher Zweck beeinträchtigt oder zunichte gemacht wird. Einfach ausgedrückt, fehlt es diesen Nanopartikeln an Orientierung, wodurch sie für diesen Zweck unbrauchbar sind.

Magnetotaktische Bakterien (MTB) könnten diese Probleme beheben: Die magnetischen Eigenschaften der Bakterien könnten so manipuliert werden, dass die Bakterien dank ihres Eigenantriebs direkt zu einem Tumor gelangen – mit Krebsmedikamenten im Schlepptau. Außerdem können MTB ihre magnetischen Partikel auf natürliche Weise selbst produzieren. Darüber hinaus können diese Teilchen  auch elektromagnetische Energie in Wärme umwandeln, die ausgenutzt werden kann, um den Zelltod (Apoptose) von Krebszellen herbeizuführen. Wärme führt nämlich dazu, dass Proteine entfaltet (denaturiert) werden, was zu Funktionsstörungen und schließlich zur Apoptose führt. Man kann sich das wie eine Luftpolsterfolie vorstellen: die Folie stellt einen Tumor dar, jede Blase eine Zelle. Jede geplatzte Blase (apoptierte Tumorzelle) lässt die Luft entweichen. Schließlich platzen fast alle Luftblasen und die Folie wird flach. Diese flache Folie stellt den geschrumpften Tumor dar.

Programmierter Zelltod (Apoptose), erkennbar an den leeren weißen Flecken. Abbildung aus 
Ltumanovskaya V. Nagibin, CC BY-SA 4.0 über Wikimedia Commons

Die oben genannten Methoden erweisen sich als sehr spezifisch. Die Spezifität ermöglicht es den Forschenden, Krebs besser zu behandeln, da die negativen Nebenwirkungen der herkömmlichen Behandlung, die ebenfalls die umliegenden gesunden Zellen schädigt, minimiert und gleichzeitig die richtige Medikamentenkonzentration an der richtigen Stelle im Körper verabreicht wird. MTB sind für die Medizin sehr vielversprechend, haben aber auch Nachteile.

  1. Die Forschenden  benötigen große Mengen magnetotaktische Bakterien (MTB), um Krebspatienten Medikamente in ausreichender Menge verabreichen zu können.

Außerdem muss die Funktionsweise der Magnetosomen, also der für den Magnetismus verantwortlichen Organellen von MTB, optimiert werden – auch in großem Maßstab. Das bedeutet, dass die Proteine, aus denen die Magnetosomen bestehen (von denen viele noch unerforscht sind), verändert werden müssen. Angesichts der Tatsache, dass der Magnetismus von zentraler Bedeutung für diese Art der Krebsbehandlung ist, hat die Sicherstellung, dass MTB sich an den richtigen Ort bewegen, oberste Priorität.

  1.  MTB müssen durch den Blutkreislauf wandern, der einen gewissen Widerstand bietet und die Beweglichkeit einschränken kann.

Das kann man sich wie folgt vorstellen: Man möchte jemanden einen Häuserblock entfernt treffen, was einfach ist, wenn der Weg frei ist. Was aber, wenn sich eine Menschenmenge bildet? Man muss sich an den vielen Menschen vorbeidrängen, um durchzukommen – wenn das überhaupt möglich ist. Ähnlich verhält es sich mit den MTB: Der Blutstrom kann deren Wirkung auf den Tumor dämpfen oder sogar blockieren.

  1. Es wird wahrscheinlich notwendig sein, mehrere Behandlungsmethoden anzuwenden, um einen Tumor anzugreifen, einschließlich der MTB.

Jeder Mensch reagiert anders, sodass eine Person auf denselben Behandlungscocktail anders reagieren kann als eine andere. Außerdem können sich MTB in Kombination mit anderen Behandlungsmethoden unterschiedlich verhalten. Deshalb muss zunächst die optimale Kombination aus MTB, herkömmlicher Chemotherapie und Bestrahlung sowie anderen Therapiemethoden ermittelt werden.

Insgesamt gesehen eröffnen magnetotaktische Bakterien (MTB) vielfältige neue Möglichkeiten. Der Eigenantrieb der MTB in Verbindung mit Magnetfeldern bietet Kontrolle und Präzision bei der Krebsbekämpfung auf einem neuartigen Niveau. Die Forschenden haben zwar noch viel zu untersuchen, doch die Zukunft ist voller vielversprechender Möglichkeiten. Denn so wie ein Kompass nach Norden zeigt, weisen magnetotaktische Bakterien in eine bessere Zukunft – und alle nutzen ähnliche Mechanismen.


Link zum Originalartikel: M. L. Fdez-GubiedaJ. AlonsoA. García-PrietoA. García-ArribasL. Fernández Barquín, and A. Muela , “Magnetotactic bacteria for cancer therapy”, Journal of Applied Physics 128, 070902 (2020)

Titelbild: Pexels | Pixabay


Übersetzt von Mihaela Bozukova