
Mikrobologie in kleinen Häppchen
Fermentierte Lebensmittel kämpfen für uns – Teil I
In den ersten Tagen der Pandemie versuchten Forscher und Forscherinnen verzweifelt, die verheerenden Auswirkungen der COVID-19 Pandemie einzudämmen. Hartnäckig suchten sie nach Trends in den epidemiologischen Daten. Trotz hoher Infektionsraten waren die Sterblichkeitsraten in ostasiatischen und mitteleuropäischen Ländern deutlich niedriger. Ein Merkmal, das den Forschern und Forscherinnen zu denken gab, war die Verwendung von fermentierten Lebensmitteln in der kulinarischen Kultur dieser Länder [1].
Dies mag für den aufmerksamen Leser wie ein Zufall erscheinen. Schließlich könnten Unterschiede bei der Einstufung der COVID-bedingten Mortalität durch verschiedene Institutionen für diesen Unterschied verantwortlich sein [2]. Dennoch ist die Idee, dass fermentierte Lebensmittel antivirale Eigenschaften haben könnten, nicht völlig aus der Luft gegriffen. In der Tat gibt es zahlreiche Projekte, bei denen fermentierte Lebensmittel zur Verbesserung des Immunsystems und der allgemeinen Gesundheit beitragen.
WICHTIGER HINWEIS
Nein, in diesem Artikel geht es weder um Pseudowissenschaft, noch schlagen wir den Verzehr von fermentierten Lebensmitteln als geeignete Alternative zu Impfstoffen vor. MicroBites bittet Sie dringend, sich impfen zu lassen, wenn Sie die Möglichkeit dazu haben. Wenn Sie sich nicht auf unser Wort verlassen wollen, können Sie gerne einige von Fachleuten geprüfte Quellen zu Rate ziehen.
EIN SCHWER VERDAULICHES THEMA
Aufgrund des Umfangs dieses Themas, haben wir es in zwei schmackhafte “Häppchen” aufgeteilt. Im ersten Happen stellen wir die Fermentation und einige Forschungsergebnisse über den Nutzen fermentierter Lebensmittel für die allgemeine Gesundheit vor. Der zweite Teil wird sich dann mit den Vorteilen fermentierter Lebensmittel beim Schutz vor Atemwegsviren und speziell vor COVID-19 befassen. Wenn Sie nur etwas über das antivirale Potenzial fermentierter Lebensmittel erfahren möchten, lesen Sie bitte den Artikel “Fermentierte Lebensmittel kämpfen für uns – Teil II”, sobald er verfügbar ist.
EINE KURZE GESCHICHTE DER FERMENTIERTEN LEBENSMITTEL
Definieren wir zunächst, was fermentierte Lebensmittel überhaupt sind. Es handelt sich dabei meist um rohe Produkte, denen bestimmte Kulturen von Mikroorganismen zugeführt werden, deren Enzyme das Lebensmittel in einer bestimmten Weise umwandeln. Dieser Prozess kann spontan ablaufen oder gezielt herbeigeführt werden. Seit der Jungsteinzeit wurden sowohl pflanzliche als auch tierische Produkte fermentiert. Diese Art der Zubereitung war besonders wichtig, da das Fehlen von Kühlmöglichkeiten, lange Reisen und harte Winter die Rohstoffe knapp werden ließen.

Heutzutage werden die meisten Lebensmittel in einer kontrollierten, industriellen Umgebung fermentiert. Die häufigtsen Kulturen, die zur Fermentation von Lebensmittel verwendet werden, werden als Milchsäurebakterien (lactic acid bacteria, abgekürzt LAB) bezeichnet und besitzen die Fähigkeit, rohe Lebensmittel zu fermentieren. In der Milchindustrie werden häufig Vertreter der Gattungen Lactobacillus oder Bifidobacterium eingesetzt. Die Bakterienkultur wird den rohen Lebensmitteln in einer sterilen Umgebung beigefügt und der Grad der Fermentation wird anschließend genau kontrolliert.

Es ist zu beachten, dass die Bakterienkulturen selbst nicht immer gesundheitlich unbedenklich sind. Wir raten deshalb davon ab, LABs als gesundheitsfördernden Snack von Petrischalen abzukratzen (wir kommen später darauf zu sprechen, wie das für Sie interessant sein könnte). Es gäbe keine strengen Vorschriften für die Sicherheit von Starterkulturen, wenn wir Menschen einfach die Bakterien selbst essen könnten. Warum die Besorgnis? Kurze Antwort: Bakteriophagen.
BAKTERIOPHAGEN – DIE PLAGEGEISTER DER FERMENTIERTEN LEBENSMITTEL
Bakteriophagen sind Viren, die speziell Bakterien infizieren (siehe diesen MicroBites-Artikel (Englisch)). Sie sind in der Regel einfacher gebaut als die Viren, die große mehrzellige Wirte, wie z.B. uns Menschen, befallen. Aber sie kapern auf ähnliche Weise die zelluläre Maschinerie und die Energie einer Bakterienzelle, um sich zu vermehren [3].
Bakteriophagen sind häufig die Ursache für Gärungsfehler, die zu Verlusten von ganzen Produktionchargen führen [3]. Aufgrund ihrer Fähigkeit, nicht nur klassische LABs, sondern eine Vielzahl von Bakterien zu infizieren, kann ein Ausbruch von Bakteriophagen verheerende Auswirkungen auf die ganze Kultur haben. Die LAB-Bakteriophagen gehören typischerweise zur Ordnung der Caudovirales-Viren [4]. Innerhalb dieser Ordnung gibt es drei Untergruppen von Gattungen, die in Abbildung 3 dargestellt sind.

Einige Bakteriophagen richten nicht nur während des Fermentationsprozesses Schaden an, sondern nutzen LAB-Kulturen auch als trojanisches Pferd, um denjenigen, der das fermentierte Lebensmittel zu sich nimmt, anzustecken. Die meisten Viren überleben nur schwer außerhalb eines Wirts – in der Regel werden sie von einem Wirt zum anderen übertragen. Einige der berüchtigtsten Viren – Hepatitis A und E, Norovirus und Rotavirus – gelangen unbemerkt über fermentierte oder mit Fäkalien verunreinigte Lebensmittel in den Körper. Einige größere Ausbrüche dieser Viren können zu Enzephalitis, akuter und chronischer Hepatitis, Meningitis bis hin zum Tod führen [3]. Bakteriophagen können auch die in fermentierten Lebensmitteln vorhandenen Bakterien als Vehikel nutzen, um sich ihren Weg zum Wirt zu bahnen. So konnte beispielsweise 2019 ein Ausbruch von Hepatitis A im südkoreanischen Seoul mit Jogaejeot in Verbindung gebracht werden – einem traditionellen saisonalen Gericht aus langsam gegarten, mit Salz marinierten Muscheln [5].

Sei jedoch nicht beunruhigt und denk daran, dass dieser Artikel mit einer möglichen positiven Wirkung fermentierter Lebensmittel begann, sogar gegen COVID-19. Zudem sind nicht alle Viren gleich gebaut. Glücklicherweise wird im Fall von COVID-19, wie bei den meisten Atemwegsviren, die Lipiddoppelschicht des Virus leicht durch das Salz, den Säuregehalt und die Temperatur während der Fermentation zerstört [3, 6–7]. Die Phagen, denen es gelingt, die Methode des trojanischen Pferdes zu nutzen, sind diejenigen, die in sauren und salzigen Umgebungen überleben können [6].
Zurück zu Bakteriophagen und fermentierten Lebensmitteln. Bakteriophagen spielen bei der Theorie über die gesundheitsfördernden Vorteile fermentierter Lebensmittel eine Schlüsselrolle, da sie ebenfalls viele Vorteile mit sich bringen. In den fermentierten Lebensmitteln selbst können Bakteriophagen ein Art von Milchsäurebakterien an der übermäßigen Produktion von Stoffwechselprodukten hindern, die in hohen Konzentrationen toxisch sein können [4]. Eine ähnliche Geschichte findet sich in einem anderen MicroBites-Artikel, in dem die kommensale Spezies S. epidermidis Ekzeme auslösen kann, wenn sie sich übermäßig vermehrt.
In einer aktuellen Studie von Sausset et al. wurde festgestellt, dass Bakteriophagen in fermentierten Lebensmitteln den Wirt auf verschiedene Weise positiv beeinflussen können. Erstens beeinflussen die Phagen die Darmflora des Wirts. Deren Funktion beschränkt sich nicht nur auf den Schutz des Wirts vor pathogenen Mikroben. Indem Phagen gesunde Mikroben infizieren und deren Funktionalität verändern, können sie anderen Bakterien in der Umgebung signalisieren, dass eine Infektion vorliegt. Dies kann den “horizontalen Gentransfer” fördern, also den Austausch von genetischem Material zwischen verschiedenen Bakterienarten, was zu einem widerstandfähigeren und vielfältigeren Mikrobiom des Wirts beiträgt. Es ist jedoch nach wie vor äußerst schwierig, diese vorteilhaften Veränderungen im Mikrobiom speziell den Phagen zuzuschreiben [8].
Außerdem stellte das Forschungsteam um Sausset fest, dass die Interaktion zwischen Bakteriophagen und Darmschleimhautzellen eine lokale und angeborene Immunantwort auslöst. Das Darm-assoziierte lymphatische Gewebe (GALT), das das Immunsystem des Darmtrakts darstellt, profitiert von einem erhöhten Kontakt mit Bakteriophagen. In der Abbildung unten ist die Interaktion der GALT-Zellen mit den Phagenantigenen, also dem Teil der Bakteriophagen, der eine Immunantwort auslöst, oder mit dem Bakteriophagen selbst dargestellt. Man kann sehen, dass nach einigen Interaktionen die wichtigen Immunglobuline IgA und IgG produziert werden. Immunglobuline können nicht nur den Magen-Darm-Trakt auf künftige Phagenangriffe vorbereiten (IgA), sondern auch den gesamten Wirt vor Virusangriffen durch ähnliche Viren von anderen Eintrittsstellen aus schützen (IgG) [8].

Man sollte jedoch nicht davon ausgehen, dass die positive Wirkung fermentierter Lebensmittel ausschließlich auf die darin enthaltenen Bakteriophagen zurückzuführen ist. Es gibt noch weitere Vorteile, die fermentierte Lebensmittel aufweisen, und eben diese Eigenschaften sind besonders wichtig für den Schutz vor Atemwegsinfektionen.
PROBIOTIKA IN FERMENTIERTEN LEBENSMITTELN
Viele Milchsäurebakterien (LAB), die bei der Lebensmittelfermentation verwendet werden, werden als Probiotika eingestuft [8]. Wenn sie in ausreichender Menge verabreicht werden, helfen probiotische Bakterien bei der Verdauung von Verbindungen, die der Wirt normalerweise nicht verdauen könnte, ähnlich wie ein stabiles Magen-Darm-Mikrobiom [9]. Beispielsweise können Menschen mit Laktoseintoleranz bestimmte saure Joghurts zu sich nehmen, da der größte Teil der Laktose, ein in Milchprodukten enthaltener Zucker, der bei Menschen mit Laktoseintoleranz Blähungen und Völlegefühl hervorruft, von den LAB im Joghurt umgewandelt wird [10]. In diesem Fall tritt die probiotische Wirkung des Joghurts ein, bevor der LAB den Magen-Darm-Trakt erreicht. An dieser Stelle sei auch noch einmal daran erinnert, dass es nicht empfehlenswert ist, LABs in purer Form zu sich zu nehmen.
Probiotika, die eine Funktion im Körper ausüben sollen, sind nur dann sinnvoll, wenn sie in der sich ständig verändernden Umgebung des Magen-Darm-Trakts überleben können. Probiotische LABs müssen überleben und richtig funktionieren, um mit dem Wirt in sinnvoller Weise im Darm zu interagieren. Es gibt viele probiotische Produkte, aber nur wenige sind ein Allheilmittel für Verdauungsbeschwerden und Krankheiten [11]. In einer Übersichtsarbeit von MacFarland, Evans und Goldstein wurde gezeigt, dass bestimmte Arten von Probiotika bei manchen Krankheiten und Beschwerden helfen können [11]. Allerdings nur unter der Voraussetzung, dass diese sich überhaupt eine Nische in der Wildnis des menschlichen Darmmikrobioms sichern können.
Es hat sich jedoch gezeigt, dass der Verzehr von probiotikareichen Speisen, wie z. B. fermentierten Lebensmitteln, aufgrund der von ihnen produzierten bioaktiven Verbindungen eine positive Wirkung auf die allgemeine Gesundheit haben kann.
BIOAKTIVE VERBINDUNGEN IN FERMENTIERTEN LEBENSMITTELN
Bioaktive Verbindungen und Metabolite (d.h. Stoffwechselprodukte), die in fermentierten Lebensmitteln enthalten sind, könnten für die positiven Auswirkungen auf den Wirt verantwortlich sein. Beispielsweise produzieren bestimmte LABs kurzkettige Fettsäuren (engl. short chain fatty acids, SCFAs), die eine Vielzahl von positiven Wirkungen haben. Die kurzkettige Fettsäure Butyrat verhindert zum Beispiel das Wachstum von Krankheitserregern, reguliert die Darmbewegung (Darmmotilität) und wirkt entzündungshemmend, wenn sie über die Nahrung aufgenommen oder im Magen-Darm-Trakt produziert wird [12]. Andere kurzkettigen Fettsäuren werden in anderen Teilen des Körpers verwertet und können zur Steigerung der Energieeffizienz, zur Regulierung des Cholesterinspiegels und zur Verbesserung der Funktion verschiedener Organe beitragen [12].
Der Wirt muss sich normalerweise auf sein Mikrobiom verlassen können, um schwer verdauliche komplexe Kohlenhydrate aus Pflanzen umzuwandeln. Sollte das Mikrobiom dieser Herausforderung nicht gewachsen sein, kann dies jedoch zu Blähungen, Völlegefühl und Unwohlsein führen [13]. In solchen Fällen können Lebensmittel, die reich an kurzkettigen Fettsäuren sind, Abhilfe schaffen.
SCFAs sind nicht die einzigen bioaktiven Verbindungen in fermentierten Lebensmitteln. Im zweiten Teil dieses Artikels werden wir uns mit den antiviralen Fähigkeiten von fermentiertem Kohl (z.B. Sauerkraut oder Kimchi) befassen, die einige der verheerenden Auswirkungen von COVID-19 minimieren könnten.
DIE ZENTRALE BOTSCHAFT
Kurz gesagt, fermentierte Lebensmittel bieten viele Vorteile. Manchmal sind sie jedoch mit einem gewissen Risiko verbunden – lecke also nicht an Petrischalen mit LAB-Kulturen! Fermentierte Lebensmittel verleihen jedoch Deinem Essen nicht nur eine köstliche Note, sondern tragen auch zur Verbesserung der allgemeinen Gesundheit bei. Das sollte Dich auf jeden Fall davon überzeugen sollten, diese Lebensmittel in Deine Ernährung einzubauen!
Das ist schon eine ganze Menge Stoff zum zu verdauen. Lassen wir es also erstmal sacken. Wir werden die faszinierende Wissenschaft der antiviralen Fähigkeiten von fermentierten Lebensmitteln demnächst im zweiten Beitrag behandeln!
Quellen:
- Bousquet J, Anto JM, Czarlewski W, Haahtela T, Fonseca SC, Iaccarino G, Blain H, Vidal A, Sheikh A, Akdis CA, Zuberbier T. Cabbage and fermented vegetables: From death rate heterogeneity in countries to candidates for mitigation strategies of severe COVID‐19. Allergy. 2021 Mar;76(3):735-50.
- National Center for health & Human Services services https://www.cdc.gov/nchs/nvss/covid-19.htm#understanding-death-data-quality [Internet]. Atlanta, Georgia, USA: Publisher; February 5, 2021 [February 5, 2021; July 26, 2021]. Image Centres for Disease Control and Prevention.
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Titelbild:
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