
Mikrobologie in kleinen Häppchen
Eine uralte chemische Waffe gegen virale Feinde.
Viren können ihr genetisches Material nicht selbständig verbreiten. Entscheidend für ihre Vermehrung ist die Fähigkeit, einen Wirtsorganismus zu infizieren und die Ressourcen des Wirts für die virale Transkription und Replikation zu nutzen. Viele wirksame antivirale Medikamente, die zur klinischen Behandlung menschlicher Viren wie Herpes, HIV oder Hepatitis C eingesetzt werden, zielen auf die viralen Transkriptions- und Replikationsfunktionen ab. Konkret handelt es sich bei diesen Therapeutika um kleine Nachahmer-Moleküle von Nukleotiden, den Bausteinen von RNA und DNA, die von viralen Polymerasen während der RNA- oder DNA-Synthese eingebaut werden. Die Nachahmer-Moleküle wirken wie gebrochene Kettenglieder, da ihr Einbau die Anlagerung weiterer Nukleotide durch virale Polymerasen verhindert und damit die Polymerisation beendet. Die Folge davon ist eine Hemmung der viralen Replikation. Diese klinische Strategie ist analog zu einer antiviralen Strategie, die bereits in der Natur existiert.
Während einer Virusinfektion, produziert der Mensch Nukleotidketten-terminierende Moleküle und diese Fähigkeit hängt von einem Protein namens Viperin ab. Viperin katalysiert die Umwandlung des Ribonukleotids CTP (ein Bestandteil der RNA) in ein modifiziertes Molekül namens ddhCTP. Wie die klinischen niedermolekularen Nachahmer-Verbindungen hemmt ddhCTP die virale Transkription und Replikation und ermöglicht so eine breite antivirale Reaktion auf RNA- und DNA-Viren.
Wie der Mensch müssen auch Prokaryoten, zu denen Bakterien und Archaeen gehören, virale Feinde abwehren. Das “Immunsystem” der Prokaryoten unterscheidet sich stark vom menschlichen Immunsystem. Bemerkenswerterweise entdeckte das Forschungsteam um Aude Bernheim jedoch kürzlich, dass die menschliche Fähigkeit zur Synthese von Nukleotidketten-Terminatoren wahrscheinlich ihren Ursprung in Prokaryoten hat. Ihre Arbeit wurde durch die Beobachtung inspiriert, dass einige Bakterien und Archaeen (etwa 1 %) für Homologe des menschlichen Viperin kodieren. Hier zeigte das Forschungsteam zum ersten Mal, dass mutmaßliche prokaryotische Viperine, oder pVips, durch die Produktion von Nukleotiden, die zum Kettenabbruch führen, gegen bakterieninfizierende Viren, so genannte Phagen, verteidigen.
Angesichts ihrer Entdeckung, dass einige Prokaryoten für Viperin-Homologe kodieren, stellten die Forscherinnen und Forscher die Hypothese auf, dass diese Proteine wie das menschliche Viperin bei der antiviralen Abwehr funktionieren könnten. Um dies zu testen, exprimierte das Forschungsteam pVips in dem bakteriellen Modellorganismus Escherichia coli und setzten anschließend die E. coli Bakterien einer Vielzahl von bakterienspezifische Viren, den sogenannten Phagen, aus. Sie fanden heraus, dass pVips vor einer Infektion schützen oder diese verringern können. Die enzymatische Aktivität des pVip war für diesen Schutz entscheidend, da die Mutation der für die Katalyse erforderlichen Schlüsselmerkmale im pVip die Fähigkeit zur Abwehr von Phagen aufhob. Überraschenderweise waren in einer weiteren Wiederholung dieses Experiments auch E. coli, die das menschliche Viperin-Gen exprimierten, vor einer Phageninfektion geschützt. Ein menschliches Protein kann also ein bakterienspezifisches Virus bekämpfen. Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Funktion von prokaryotischen pVips der von menschlichem Viperin ähnlich ist und dass der Abwehrmechanismus bei phylogenetisch weit entfernten Organismen sehr konserviert ist.

Der Schlüssel zur antiviralen Funktion des menschlichen Viperin ist die Synthese von ddhCTP. Das nächste Ziel des Forschungsteams bestand also darin, nachzuweisen, dass prokaryotische pVips diese chemische Waffe ebenfalls produzieren. Eine Analyse der Verbindungen aus E. coli, die pVips exprimieren, ergab das Vorhandensein von ddhCTP-Ribonukleotiden. Darüber hinaus konnten einige pVips andere Moleküle, die ebenfalls zum Kettenabbruch führen, wie ddhUTP oder ddhGTP (Derivate der RNA-Ribonukleotide UTP bzw. GTP) synthetisieren. Ausgewählte pVips waren auch in der Lage, mehrere kettenabschließende Nukleotide zu produzieren, was darauf hindeutet, dass diese pVips vielseitig sind und ein breit gefächertes Arsenal zum Schutz gegen Phageninfektionen beherbergen könnten. Das Forschungsteam zeigte außerdem, dass gereinigte pVip-Proteine im Reagenzglas Ribonukleotide in ihre modifizierten Versionen umwandeln. Somit ist die Produktion von Nukleotidketten-Terminatoren wie ddhCTP, ddhGTP und ddhUTP der Schlüssel zur antiviralen Funktion von pVip.
Um die evolutionären Ursprünge von pVips zu verstehen, haben Aude Bernheim und ihre Kolleginnen und Kollegen pVips anhand der Ähnlichkeit der DNA-Sequenz in Gruppen eingeteilt. Interessanterweise ergab ihre Analyse, dass die menschlichen Viperine nicht die größte Abweichung von den pVips aufweisen, die von Bakterien und Archaeen kodiert werden. Vielmehr liegen die menschlichen Viperine zwischen einer Gruppe, die von Archaeen dominiert wird, und einer Gruppe, die sich aus Bacteroides, einer bestimmten Gattung von Bakterien, zusammensetzt, wobei die engsten Verwandten der menschlichen Viperine die archaeischen pVips sind. Dieser Befund deutet darauf hin, dass Eukaryoten (zu denen der Mensch gehört) die Viperine wahrscheinlich von Archaeen übernommen haben und sich die pVips nicht unabhängig entwickelt haben.
Bakterien setzen eine Vielzahl von Strategien ein, um räuberische Phagen zu bekämpfen. Das Wissen über bakterielle Abwehrstrategien hat Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern eine Fülle von molekularen Werkzeugen an die Hand gegeben. So werden beispielsweise als Restriktionsendonukleasen bezeichnete Proteine, mit denen Bakterien das genetische Material eindringender Viren schneiden, von Molekularbiologen in großem Umfang zur Veränderung von DNA eingesetzt. Bakterielle Abwehrstrategien könnten auch klinische Ansätze für die Behandlung von Virusinfektionen beim Menschen liefern. Interessanterweise sind chemische Abwehrstrategien mit solch kleinen Verbindungen bei Prokaryoten nicht weit verbreitet; pVips sind eines der wenigen bekannten Beispiele. Vielleicht beherbergen alte Mikroben eine Vielzahl antiviraler niedermolekularer Verbindungen, die in einem klinischen Umfeld eingesetzt werden könnten. Diese müssen jedoch erst noch entdeckt werden.
Link zum Originalbeitrag: Bernheim A., Millman A., Ofir G., Meitav G., et al. Prokaryotic viperins produce diverse antiviral molecules. Nature. 2021. 589(7840): 120-124.
Titelbild: Escherichia coli with phages from Wikicommons under the creative commons 4.0 licence
Übersetzt von Melissa Jansing