Aus der Antarktis in unsere Gefriertruhen.

                                

Mikrobologie in kleinen Häppchen

Aus der Antarktis in unsere Gefriertruhen.

Die Antarktis ist ein Kontinent, über den die meisten Menschen und sogar die Wissenschaft noch nicht viel wissen. Angesichts der riesigen Eismassen, der trockenen Luft und der niedrigsten jemals registrierten Temperaturen ist es schwer vorstellbar, dass Lebensformen unter diesen Bedingungen überleben können. Dennoch gibt es dort eine große Vielfalt an Mikroorganismen. Sie werden als psychrophile (oder kryophile; d.h. kälteliebende) Lebewesen bezeichnet und haben im Laufe der Evolution verschiedene Wachstums- und Anpassungsstrategien entwickelt, die es ihnen ermöglichen, auch im antarktischen Winter zu überleben. 

Frostschutzproteine sind das Geheimnis ihres Überlebens. Diese von Bakterien synthetisierten, eisbindenden Proteine bewirken, dass Eis zwischen den Frostschutzproteinen wächst, wodurch der Gefrierpunkt herabgesetzt1 und verhindert wird, dass Eis große Kristalle bildet, die für die Zellen schädlich sein können. Darüber hinaus können die Frostschutzproteine während der Gefrier-Auftau-Zyklen die Rekristallisation von Eis verhindern2. Daher ist es nicht überraschend, dass Frostschutzproteine bei Arten, die in kalten Regionen der Erde leben, recht häufig vorkommen. Solche Proteine wurden bereits in Meeresfischen3 und sogar in Schneeschimmel4 entdeckt. 

Patricio Muñoz und sein Forschungsteam zeigen in ihrer Studie5, dass antarktische Bakterien Frostschutzproteine für ihr Überleben nutzen. Die Forscher führten ein Experiment unter Gefrier-Auftau-Bedingungen durch und isolierten drei lebensfähige Mikroorganismen der Gattungen Plantibacter, Sphingomonas und Pseudomonas. Um feststellen zu können, ob diese Organismen über Frostschutzproteine verfügen, mussten die Wissenschaftler zunächst herausfinden, welche genetischen Sequenzen für die Produktion dieser Proteine verantwortlich sind. Die Autoren fanden heraus, dass Plantibacter zwei unterschiedliche Sequenzen (gu3A und gu3B) und Pseudomonas nur eine einzigartige Sequenz (afp5A) aufwiesen, während die Sequenz des Frostschutzproteins von Sphingomonas mit dem des bereits bekannten antarktischen Bakteriums Marinomonas primorynsis6 übereinstimmt.

Abbildung 1: Experimenteller Ansatz, den das Team um Muñoz verwendete, um die Frostschutzproteinen zu identifizieren, die in psychrophilen Bakterien in der Antarktis gefunden wurden. Abbildung mit Biorender.com erstellt.

Um zu prüfen, ob diese Sequenzen tatsächlich für die Herstellung der Frostschutzproteine verantwortlich sind, testete das Forschungsteam die aus diesen Sequenzen hergestellten Proteine an zwei Lebensmittelproben (Abbildung 2): einer Gurke (Bilder A und B) und einer Zucchini (Bilder C und D). Mit diesem Experiment sollte gezeigt werden, dass die aus Bakterien gewonnenen Frostschutzproteine die Zellen der getesteten Lebensmittel vor den durch Eis verursachten Schäden schützen können. Der rote Pfeil auf Bild A zeigt eine Gurkenzelle, die beschädigt wurde, weil die Frostschutzproteine nicht im Testmedium vorhanden waren. Bild B hingegen zeigt eine Zelle, die keine solchen Risse oder Schäden aufweist, weil die Probe ein extrahiertes Frostschutzprotein enthielt. Die gleichen Ergebnisse wurden bei der Zucchiniprobe beobachtet: Bild C stellt eine Probe ohne Frostschutzproteine und Bild D eine Probe mit Frostschutzproteinen dar. Diese Experimente zeigten, dass Frostschutzproteine durch Eiskristallisation verursachte Zellschäden verhindern können.

Abbildung 2: Die Lebensmittelproben wurden mit bakteriellen Frostschutzproteinen kombiniert, um zu untersuchen, ob diese Proteine vor Zellschäden schützen, die durch Eiskristalle verursacht werden. Rote Pfeile zeigen die geschädigten Bereiche der Zelle an, die keine Frostschutzproteine enthielten. Abbildung aus der Originalarbeit entnommen.

Gurkenprobe ohne (A) und mit Frostschutzproteinen (B).

Zucchini-Probe ohne (C) und mit Frostschutzproteinen
(D).

Rote Pfeile zeigen den beschädigten Bereich der Zelle an, in dem Eiskristalle die Zellstruktur zerstört haben.

Aber was ist der verborgene Trick, den Frostschutzproteine nutzen, um die Bildung von Eis an einem Ort zu verhindern, an dem Eis die Umwelt beherrscht? Es muss auf jeden Fall etwas ausgeklügeltes sein, und das ist es in der Tat! Das Forschungsteam stellte fest, dass in allen extrahierten Sequenzen eine bestimmte Aminosäure enthalten war: Threonin. Threonin ist eine der 20 essenziellen Aminosäuren, die in jedem einzelnen Organismus auf der Erde vorkommt (also auch in Mikroben!). Diese Aminosäure hat eine Hydroxylgruppe (-OH), was sie zu einer polaren Substanz macht. Wenn eine Verbindung polar ist, bedeutet dies, dass sie Wasser anzieht und leicht löslich ist. Das Vorhandensein von Threonin im Frostschutzprotein ermöglicht also eine Interaktion zwischen Eis (gefrorenes Wasser) und dem Rest des Proteins. Genauer gesagt ragt die Hydroxylgruppe so aus dem Zentrum des Frostschutzproteins heraus, dass sie für die Interaktion mit einem Eiskristall zugänglich ist7. Abbildung 3 zeigt die Anordnung dieser Threonine in Gelb (“T” ist die in der Biochemie verwendete Abkürzung für Threonin). 

Abbildung 3: Darstellungen der Proteinmodelle von afp5A (links), gu3A (Mitte) und gu3B-Sequenzen (rechts). Die gelben Moleküle zeigen die Position der Threonin (T)-Reste an. Abbildung aus der Originalarbeit von Muñoz et al.

Die Erforschung von Frostschutzproteinen könnte viele der heute verwendeten technologischen Prozesse revolutionieren. Sie haben potenzielle Anwendungen in der Kryokonservierung8, dem Prozess der Konservierung von Zellen, Geweben oder anderen biologischen Strukturen durch Abkühlung der Proben auf sehr niedrige Temperaturen9. Da Stammzellen und andere biologische Gewebe bei niedrigen Temperaturen nicht gelagert werden können, kann die Kryokonservierung die Lebensdauer dieser Proben erheblich verlängern.

Und wir sollten auch nicht die Lebensmittelindustrie und die Zubereitung von Tiefkühlprodukten vergessen. Seit langem werden Frostschutzproteine eingesetzt, um die Struktur von pflanzlichen und tierischen Lebensmitteln zu erhalten. Indem sie die Ansammlung großer Eiskristalle während der Gefrier-Auftau-Zyklen verhindern, erhalten Frostschutzproteine die Knackigkeit und Frische von Tiefkühlkost. Je mehr Studien über Frostschutzproteine durchgeführt werden, desto besser wird man verstehen, wie psychrophile Bakterien überleben und sich an eine so raue Umgebung wie die Antarktis anpassen.


Link zum Originalartikel: Muñoz, P.A., Márquez, S.L., González-Nilo, F.D. et al. Structure and application of antifreeze proteins from Antarctic bacteria. Microb Cell Fact 16, 138 (2017).

Andere Verweise:

1. Kristiansen, E. , Zachariassen, K.E. 2005. The mechanism by which fish antifreeze proteins cause thermal hysteresis. Cryobiology. (51), 262–80. 

2. Zalis, S. , Bar Dolev, M. , Braslavsky, I. 2013. Inhibition of ice recrystallization by antifreeze proteins. Cryobiology. doi:10.1016/j.cryobiol.2013.09.147. 

3. Devries, A. , Wohlschl, D. 1969. Freezing resistance in some Antarctic fishes. Science. (163), 1073–5. 

4. Hoshino, T.,  Kiriaki, M. , Ohgiya, S. , Fujiwara, M. , Kondo, H. , Nishimiya, Y. , Yumoto, I. , Tsuda, S. 2003. Antifreeze proteins from snow mold fungi. Can J Bot. (81), 1175–81. 5. Muñoz, P.A. et al. 2017. Structure and application of antifreeze proteins from Antarctic bacteria. doi: 10.1186/s12934-017-0737-2

5. Garnham, C. , Gilbert, J. , Hartman, C. , Campbell, R. , Laybourn‐Parry, J ., Davies, P. 2008. A Ca2+‐dependent bacterial antifreeze protein domain has a novel beta‐helical ice‐binding fold. Biochem J. 411(171):180

6. Leinala, E.K. , Davies, P.L ., Jia, Z. 2002. Crystal structure of β‐helical antifreeze protein points to a general ice binding model. Structure. (10), 619–27

7. Jeon, S.M. , Naing, A.H. , Park, K.I. , Kim, C.K. 2015. The effect of antifreeze protein on the cryopreservation of chrysanthemums. Plant Cell Tiss Organ Cult. doi:10.1007/s11240‐015‐0852‐x. 

8. Jang, T.H. , Park, S.C. , Yang, J.H. , et al. 2017. Cryopreservation and its clinical applications. Integr Med Res. 6(1):12-18. doi:10.1016/j.imr.2016.12.001

Titelbild: https://www.process-cooling.com/articles/90162-things-to-know-about-freezing-equipment-for-food-processing


Übersetzt von Mihaela Bozukova