Ineffizienz? Gibt es nicht!

                                

Mikrobologie in kleinen Häppchen

Ineffizienz? Gibt es nicht!

Stickstoff ist der Hauptbestandteil allen Lebens, da er z. B. für den Aufbau von Proteinen und DNA unerlässlich ist. Obwohl er auf der Erde im Überfluss vorhanden ist, stellt die Stickstoffversorgung für die meisten Lebensformen einen limitierenden Faktor dar. Ich spreche hier nicht von Fitness-Enthusiasten, die mit Proteinshakes Muskelmasse aufbauen wollen, sondern – natürlich – von Mikroorganismen. Bakterien und Archaeen sind die einzigen Lebensformen, die in der Lage sind, Stickstoff aus der Luft in ihren Zellen zu binden. Das bedeutet, dass der gesamte Stickstoff in unserem Körper (aber auch in dem anderer Tiere oder Pflanzen) von Bakterien und Archaeen für uns “aufbereitet” wurde. Die einzigen bekannten Enzyme, die einen solchen Prozess katalysieren, heißen Nitrogenasen.

Es gibt drei Varianten dieser Nitrogenasen, benannt nach den verschiedenen Metallen in ihren aktiven Zentren: Molybdän (Mo), Vanadium (V) und Eisen (Fe). Die Enzyme benötigen eine Elektronenquelle, um Stickstoff aus der Atmosphäre (N2) zu Ammoniak (NH3) zu reduzieren, produzieren hierbei aber auch eine Reihe von Nebenprodukten (vor allem H2). Von den drei Varianten ist die Mo-Nitrogenase das älteste Enzym und die beiden anderen haben sich aus ihr entwickelt (1). Die Mo-Nitrogenase gilt jedoch auch als das effizienteste Enzym zur Stickstofffixierung, da sie die wenigsten Nebenprodukte erzeugt (1). Wenn also die V- und Fe-Nitrogenasen bei ihrer Arbeit weniger effizient sind, warum haben sie sich dann überhaupt entwickelt?

Katja Luxem und ihre Kollegen und Kolleginnen von der Princeton University in New Jersey, USA, machten sich mit Hilfe des Bakteriums Rhodopseudomonas palustris auf die Suche nach Antworten (2). Der Wildtyp dieses Bakteriums enthält die Gene für alle drei Enzyme, verwendet aber – wie der Originalartikel zeigt – für seine Stickstoffversorgung normalerweise nur die Mo-Nitrogenase. Daher testeten die Forscher drei genetische Varianten von R. palustris, die jeweils nur eine der drei Nitrogenase-Varianten enthielten. Sie stellten fest, dass die Mo-Nitrogenase je nach Kohlenstoffquelle den Stickstoff nicht am schnellsten fixierte. Auf anderen Substraten als Succinat förderte die V-Nitrogenase ein schnelleres Wachstum als die Mo-Nitrogenase, und auf Acetat übertraf diese Variante sogar den Wildtyp (Abbildung 1).

Abbildung 1: Wachstumsrate als Maß für die Stickstofffixierung. Bei Succinat als Kohlenstoffquelle ist ein “gewöhnliches” Profil der relativen Nitrogenase-Aktivität zu erkennen. Bei Acetat und Butyrat übertrifft die V-Nitrogenase (orange) jedoch die Mo-Nitrogenase (hellblau). Wachstum bei 19 °C. Adaptiert aus dem Originalartikel (2).

Wenn Acetat als Kohlenstoffquelle zur Verfügung stand, produzierte die Mutante, die nur die V-Nitrogenase besaß, etwa so viel Nebenprodukt (H2) wie der Wildtyp. Die Autoren vermuten, dass dies mit der Temperatur zu tun hat: Die Idee, dass die Mo-Nitrogenase am effizientesten ist, stammt aus Experimenten bei 30 °C. Die Experimente der hier gezeigten Studie wurden jedoch bei 19 °C durchgeführt – und sie sind nicht die ersten, die feststellen, dass die Effizienz der Mo-Nitrogenase bei niedrigeren Temperaturen abnimmt (3). Die Erklärung für die Existenz der V-Nitrogenase neben der Mo-Nitrogenase könnte also mit der Umgebungstemperatur zusammenhängen, in der das Bakterium lebt.

Das Team um Luxem konnte außerdem zeigen, dass die Effizienz der Stickstofffixierung nicht allein von den Nitrogenasen abhängt, sondern von einer ganzen Kaskade von Enzymen und Cofaktoren, die die Elektronen und Energie für die Katalyse liefern. Mithilfe der Proteomik fand das Forschungsteam heraus, dass die V-Nitrogenase-Mutante, die so gut auf Acetat reagierte, von einem System von Energielieferproteinen unterstützt wurde, das dem des Wildtyps ähnelt. Die Mutante, die nur die Mo-Nitrogenase trägt, hatte ein anderes Profil unterstützender Enzyme. Die Entwicklung verschiedener Nitrogenaseformen könnte also auch mit dem Zusammenspiel mit anderen Proteinen zusammenhängen.

Abbildung 2: Elektronenverteilung in der Zelle. Die verfügbaren Elektronen werden im zentralen Stoffwechsel (Pfeil B) erzeugt und u.a. zur Reduzierung von Kohlenstoff- (Pfeil E) und Stickstoffverbindungen (Pfeil F) verwendet. Übernommen aus dem Originalartikel (2).

Interessanterweise kompensiert R. palustris die langsameren Nitrogenasen nicht, indem es mehr Ressourcen für die Stickstofffixierung aufwendet. Abgesehen von Stickstoff kann R. palustris in einem der Photosynthese ähnlichen Prozess auch Kohlenstoff aus CO2 fixieren. Für die Fixierung beider Elemente werden Elektronen benötigt. Das Bakterium muss daher abwägen, wie viel es von beiden fixiert (siehe Abbildung 2, Pfeile E und F). In Luxems Experimenten ist die Stickstoffzufuhr für R. palustris limitierend, während Kohlenstoffquellen in ausreichender Menge zur Verfügung stehen. Es scheint daher sinnvoll, so viele Elektronen wie möglich auf die Stickstofffixierung umzuleiten. Die Autoren beobachteten jedoch etwas anderes: Der Prozentsatz der verfügbaren Elektronen, der für die Stickstoffreduktion verwendet wurde, blieb konstant bei etwa 60 % für verschiedene Kohlenstoffquellen und Nitrogenase-Enzyme. Dies ist besonders überraschend im Fall der sehr ineffizienten Fe-Nitrogenase, die sehr wenig N2 fixiert dabei aber sehr viel H2 produziert. Die Autoren vermuten, dass ein noch unbekannter evolutionärer Selektionsdruck gegen die Aufhebung der Kohlenstofffixierung besteht.

Alles in allem scheint es, dass die scheinbar nutzlose V-Nitrogenase einfach nie auf eine Weise untersucht wurde, die ihre Stärke zeigt: die Stickstofffixierung bei niedrigeren Temperaturen. Dank Luxem und ihrem Team wurden die Stärken dieses Enzyms beleuchtet. Und zu gegebener Zeit werden wir zweifellos auch den Vorteil der Fe-Nitrogenase zu schätzen lernen!


Link zum Originalbeitrag: Carbon substrate re-orders relative growth of a bacterium using Mo-, V-, or Fe-nitrogenase for nitrogen fixation Katja E. Luxem, Anne M. L. Kraepiel, Lichun Zhang, Jacob R. Waldbauer, Xinning Zhang

Titelbild: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Nitrogen_Cycle_1.svg


Übersetzt von Florian Theßeling