Ameisen trinken ihr eigenes Gift als Desinfektionsmittel.

                                

Mikrobologie in kleinen Häppchen

Ameisen trinken ihr eigenes Gift als Desinfektionsmittel.

Bakterien sind in fast jeder Umgebung auf der Erde zu finden, und der Darm von Insekten bildet hierbei keine Ausnahme. Dabei spielen die Bakterien eine wichtige Rolle, denn sie zerlegen komplexe Nährstoffe in Einfachere, die der Wirt anschließend aufnehmen kann. Die Nahrung ist eine wichtige Quelle für diese mikrobiellen Partner im Darm, kann jedoch auch eine Quelle für schädliche Mikroben sein, die pathogen sind oder giftige Chemikalien produzieren, die den Wirt töten können.

Einige Insektenarten, die in großen sozialen Gemeinschaften leben, wie Ameisen, Wespen, Bienen oder Termiten, können die Nahrung in einem Teil ihres Magens, dem sogenannten Kropf, speichern. Diese Insekten können die aufgenommene und gespeicherte Nahrung an andere Mitglieder ihrer Kolonie wieder abgeben. Bei diesem Prozess, Trophallaxis genannt, würgen sie den Inhalt des Kropfes wieder aus, um ihn dem Empfänger durch Mund-zu-Mund-Fütterung zuzuführen. Intim, nicht wahr? Dies erleichtert einerseits die Übertragung nützlicher Mikroben, kann aber andererseits unerwünschten mikrobiellen Opportunisten, die sich diesen Übertragungsweg zu Nutze machen, Tür und Tor öffnen.

In a recent study, researchers investigated how ants control harmful microbes in their food while the beneficial microbes are allowed to be transported from and with the food. More specifically, they looked at the Florida carpenter ant (Camponotus floridanus), and how it uses its own acidic venom as a defensive weapon! They seem to use the acid to disinfect their food, allowing acid-tolerant bacteria to pass through to their guts.

Bild einer Holzameise (Camponotus sp.) von Muhammad Mahdi Karim. Quelle: Wikimedia commons.

In einer aktuellen Studie untersuchten Forschende, wie Ameisen schädliche Mikroben in Zaum halten, während nützliche Mikroben unbehelligt mit der Nahrung transportiert werden. Anhand von Experimenten an der Ameisenart Camponotus floridanus, fanden die Forschenden heraus, dass die Ameisen ihr eigenes säurehaltiges Gift als Verteidigungswaffe gegen schädliche Mikroben einsetzen. Die Ameisen verwenden nämlich die Säure zur Desinfektion ihrer Nahrung, sodass nur säure-tolerante Bakterien in ihren Darm gelangen können.

Zeichnung einer Ameise der Art Kyromyrma neffi. Zu sehen ist die Säuredrüse am Ende des Körpers, gesäumt von feinen Härchen. Quelle: PNAS https://www.pnas.org/content/97/25/13678 

Zunächst untersuchten die Forschenden sieben verschiedene Ameisenarten und maßen den Säuregrad ihres Kropfes und den des Mitteldarms. Der Mitteldarm ist eine Art Dünndarm, in dem die Aufnahme von Nährstoffen beginnt. Die Forschenden stellten fest, dass der Kropf recht sauer war, mit einem pH-Wert zwischen 2 und 4. Der Mitteldarm hingegen schien einen höheren pH-Wert zu haben und somit weniger sauer zu sein. Dies ist zunächst nicht ungewöhnlich: Beim Menschen kann der pH-Wert im Magen bis zu 2 betragen, während unser Dünndarm einen pH-Wert von 6 hat. Allerdings stellten die Forschenden fest, dass die Ameisen einen anderen Mechanismus als der Mensch nutzen, um den pH-Wert niedrig zu halten: Die Ameisen schlucken ihr eigenes saures Gift. Dieses wird normalerweise zur Verteidigung gegen Fressfeinde eingesetzt und von einer Drüse am Ende des Körpers produziert. Die Tröpfchen, die aus dieser Säuredrüse austreten, enthalten 37 Chemikalien, hauptsächlich aber Ameisensäure. Die Ameisen „lecken” an ihrer Säuredrüse und saugen so das Gift auf. Lecker!

Nachdem die Forschenden nachgewiesen hatten, dass das saure Gift tatsächlich der Grund für den niedrigen pH-Wert im Kropf der Ameisen war, untersuchten sie, ob dessen Verschlucken bakterielle Krankheitserreger abtötet. Hierfür fütterten sie die Ameisen mit Honigwasser, das mit einem pathogenen Bakterium (Serratia marcescens) versetzt worden war, das selbst in kleinen Dosen für Ameisen tödlich ist. Die Forschenden untersuchten anschließend, wie viele der Bakterien im Körper der Ameisen überlebt hatten. Sie stellten fest, dass nach vier Stunden keine (lebenden) S. marcescens mehr im Kropf zu finden und kaum Bakterien in den Mitteldarm gelangt waren.

Jedes Diagramm zeigt Daten aus dem jeweils gelb markierten Bereich der Ameisen. a) Anzahl der im Kropf überlebenden Bakterien nach der Fütterung (gemessen in CFU, d.h. koloniebildende Einheiten) b) Anzahl der im Mitteldarm überlebenden Bakterien nach der Fütterung. Abbildung aus dem Originalartikel.

In einem zweiten Experiment gaben die Forschenden den Ameisen erneut kontaminiertes Futter, hinderten aber die Hälfte der Ameisen daran, ihr eigenes, saures Gift zu schlucken. Anschließend untersuchten sie die Überlebensraten der Ameisen. Der Zugang zur eigenen Säuredrüse verschaffte den Ameisen einen signifikanten Überlebensvorteil, der mit dem von Ameisen vergleichbar war, die mit nicht kontaminierter Nahrung gefüttert worden waren.

Die Fähigkeit, das saure Gift zu schlucken, könnte nicht nur das Überleben von Ameisen verbessern, die sich direkt von kontaminiertem Futter ernähren, sondern auch von Ameisen, die das kontaminierte Futter über Trophallaxis (Mund-zu-Mund-Fütterung) erhalten. Um dies zu testen, bildeten die Forschenden zwei Gruppen von Spender-Empfänger-Paaren. Bei beiden Gruppen wurden die Säuredrüsen der empfangenden Ameise zugeklebt. Beim ersten Paar hatte der Spender weiterhin Zugang zur Säuredrüse, während beim zweiten Paar auch die Säuredrüsen des Spenders zugeklebt waren. Wie in der Abbildung zu sehen ist, hatten die Empfänger-Ameisen, die kontaminierte Nahrung durch Spender erhielten, welche ihr eigenes Gift schlucken konnten, eine höhere Überlebensrate als Spender- und Empfängerameisen, die die Säure nicht schlucken konnten.

Nach der Fütterung mit pathogenen Bakterien hatten Spender-Ameisen mit Zugang zu ihrer Giftdrüse (FA+) und die entsprechenden Empfänger-Ameisen (FA-) eine höhere Überlebensrate als das zweite Spender-Empfänger-Paar ohne Zugang zur Giftdrüse. Abbildung aus dem Originalartikel.
a) Die Asaia-Bakterien können bis zu 24 Stunden im Kropf überleben. b) Die Asaia-Bakterien sind nach der Fütterung der Ameisen bis zu 48 Stunden lang in ansteigender Zahl im Mitteldarm vorzufinden. Abbildung aus dem Originalartikel.

Die Forschenden konnten somit zeigen, dass das Ameisengift Krankheitserreger abtötet. Was ist jedoch mit Bakterien, die der Säure widerstehen können? Könnte das Gift wie ein Filter fungieren und nur bestimmte Bakterien durchlassen? Die Forschenden fütterten die Ameisen mit Bakterien der Gattung Asaia – von denen bekannt ist, dass sie den Darm verschiedener Insekten besiedeln – um zu untersuchen, ob diese Bakterien in der sauren Umgebung überleben können. Im Gegensatz zum Krankheitserreger wurden die Asaia Bakterien durch das saure Milieu im Kropf kaum beeinträchtigt und nach 48 Stunden sogar in steigender Zahl lebend im Mitteldarm gefunden. Es ist also möglich, dass der mit Gift gesäuerte Kropf der Ameisen als eine Art chemischer Filter fungiert, der das Eindringen schädlicher Bakterien verhindert und gleichzeitig andere, möglicherweise nützliche Bakterien durchlässt.

Mit diesen Experimenten konnten die Forschenden zwei neue Funktionen des Ameisengifts aufzeigen, von dem man bisher angenommen hatte, dass es nur dem Schutz vor Fressfeinden dient. Das Gift tötet nicht nur die schädlichen Bakterien ab, sondern kann auch als chemischer Filter wirken, der potenziell nützliche Bakterien durchlässt. Der saure Kropf wirkt zusätzlich als Barriere, um die Ausbreitung von Krankheiten in Ameisenkolonien zu verhindern.

Die Forscher fanden auch etwas Ungewöhnliches heraus: Der Säuregrad des Kropfes bei Ameisen mit und ohne Zugang zu ihrer Säuredrüse war sehr unterschiedlich. Was könnte die Ursache hierfür sein? Gibt es zusätzliche interne oder externe Quellen, die den Säuregrad des Kropfes regulieren? Sind diese Unterschiede artspezifisch? Könnten sie das Ergebnis der Zusammensetzung des Giftdrüsensekrets sein? Und was ist der optimale Säuregrad des Kropfes? All diese Fragen müssen in zukünftigen Studien untersucht werden, um die Wechselwirkungen zwischen Ameisen und ihren Mikroben zu entschlüsseln.


Link zum Originalbeitrag:: Simon Tragust, Claudia Herrmann, Jane Häfner, Ronja Braasch, Christina Tilgen, Maria Hoock, Margarita Artemis Milidakis, Roy Gross, Heike Feldhaar, Formicine ants swallow their highly acidic poison for gut microbial selection and control, eLife, 2020

Titelbild: Große Wiesenameise (Formica pratensis) von Pawel Bieniewski. Quelle: Wikimedia commons, CC BY-SA 4.0


Übersetzt von Mihaela Bozukova