Wie uralte Mikroben die Zukunft der Wissenschaft verändern könnten.

                                

Mikrobologie in kleinen Häppchen

Wie uralte Mikroben die Zukunft der Wissenschaft verändern könnten.

Das Ziel der 2017 gestarteten Forschungsinitiative „Human Microbiome Project“ war ein verbessertes Verständnis der Rolle von Mikroben im menschlichen Körper. Mit einer Fülle von generierten Daten und faszinierenden Entdeckungen hat dieses Projekt die Art und Weise, wie Menschen Mikroorganismen wahrnehmen, grundlegend verändert. Technologische Fortschritte im Bereich der Molekularbiologie und Genetik ermöglichten es den Mikrobiologen, mikrobielles DNA-Material zu sequenzieren und zu vervielfältigen, Lebensbäume zu konstruieren und selbst die kleinsten in einer Zelle vorhandenen Gene zu untersuchen. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler konnten nicht nur die pathogenen Eigenschaften von Mikroorganismen genauer untersuchen, sondern auch den potenziellen Nutzen erforschen, den Mikroben aus der Koexistenz mit dem Menschen ziehen.

Heutzutage, im Jahr 2021, sind Mikroben und Menschen „Freunde“ und keine „Feinde“. Unsere Gesellschaft ist sich der großartigen Dinge bewusst, die Mikroorganismen leisten. „Nehmen Sie regelmäßig Probiotika zu sich, um Ihre Verdauung zu verbessern!“, „Essen Sie mehr fermentierte Lebensmittel, um Ihre Gesundheit zu verbessern!“, „Mikroben stärken unser Immunsystem, schützen vor Krankheiten und halten uns glücklich!“. Die Liste solcher Empfehlungen ließe sich endlos fortsetzen und alle diese Aussagen sind absolut richtig. Mikroorganismen sind in der Tat ständig im Dienst des Menschen. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler blicken mit Spannung in die Zukunft und vertiefen kontinuierlich unser Verständnis für die Beziehung zwischen Menschen und Mikroben. 

Immer mehr Forscher sind jedoch der Meinung, dass es nicht nur wichtig ist, die nützlichen Eigenschaften von Mikroben weiter zu erforschen, sondern auch in die Vergangenheit zurückzugehen und alte Mikroorganismen zu untersuchen. Die Paläomikrobiologie, die Erforschung alter Mikroorganismen, kann Informationen über die Entwicklung von Mikroorganismen, alten Krankheiten, kulturellen Bräuche und wichtigen historischen Ereignissen aufdecken.

Wie und wo sind diese prähistorischen Mikroben zu finden? Schließlich handelt es sich hierbei um Exemplare, die Tausende von Jahren alt sind! Es hat sich herausgestellt, dass es verschiedene natürliche Umgebungen gibt, die als Quellen für alte Mikroorganismen dienen: 

  1. Extreme Umgebungen, wie z. B. der Permafrost-Boden;
  2. Bernstein;
  3. Zahnstein;
  4. Koprolithen.

Extreme Umgebungen 
Extreme Umgebungen, wie der Permafrost-Boden oder fossiles Eis, begünstigen die Erhaltung alter mikrobieller Formen und ihrer DNA. Der Grund dafür ist ganz einfach: Organismen, die unter diesen Bedingungen leben, verfügen über einzigartige Überlebensmechanismen, die es den Zellen ermöglichen, in einen „Ruhezustand“ einzutreten, einen Zustand, in dem die normalen biologischen Funktionen ausgesetzt oder verlangsamt werden. Außerdem sind diese Umgebungen nur selten Veränderungen unterworfen. Eines der jüngsten Beispiele ist die Entdeckung einer 30.000 Jahre alten Pithovirus sibericum-Probe aus dem sibirischen Permafrost (siehe Abbildung unten). Es ist das älteste isolierte Eukaryoten-infizierende Virus, und interessanterweise hat es seine Infektiosität trotz eines so langen Ruhezustands beibehalten! Die Untersuchung mikrobieller Gemeinschaften in alten Permafrostböden wird mehr Licht auf Proteine und Anpassungstechniken werfen, die diese Mikroben für ihr Überleben nutzen.

Das 30.000 Jahre alte Virus Pithovirus sibericum. Die Abbildung stammt aus dem Original-Forschungsartikel von Legendre et al.

Bernstein

Bernstein
Bernstein ist ein versteinertes Baumharz. Seine geringe Aktivität in wässriger Umgebung sowie sein Reichtum an natürlichen Zuckern bieten ein ideales Umfeld für die Erhaltung alter Bakterienarten. Viele Bakterien, die aus Bernstein isoliert wurden, gehören zur Gattung Bacillus1, die für ihre Fähigkeit zur Sporenbildung bekannt ist. Sporen sind die inaktivste Form von Bakterien, da sie nur eine minimale biologische Aktivität aufweisen. Diese Eigenschaft der Sporen wird auf die Wirkung kleiner, säurelöslicher Proteine (so genannte SASPs)2 zurückgeführt. Sporenbildende Bakterien können ihren Stoffwechsel so weit herunterfahren, dass sie Tausende von Jahren überleben können!

Zahnstein 
Zahnstein ist ein versteinerter bakterieller Biofilm, der sich auf der Oberfläche der Zähne bildet. Das Einzigartige an dieser „Konservierungsstelle“ ist, dass Zahnstein sich nicht ablöst und seine Struktur im Laufe der Zeit nicht verändert (über Tausenden von Jahren hinweg!). In seiner Arbeit schlug Turner-Walker mehrere Faktoren vor, die zu einer hervorragenden Erhaltung des genetischen Materials im Zahnstein beitragen. Erstens handelt es sich nicht um ein Material, das leicht von Bakterien aus der Umgebung besiedelt werden kann. Den Zähnen fehlen biologische Kanäle, die normalerweise Eintritts- und Bewegungspunkte für Bakterien darstellen, die nicht bereits im Körper vorhanden sind. Zweitens fehlt dem Zahnstein eine reichhaltige Nährstoffquelle, die das Bakterienwachstum fördern könnte. Und schließlich wird Zahnstein, sobald er versteinert ist, extrem fest, was ihn widerstandsfähig gegen Zerfall macht.


Die Untersuchung alter Bakterien aus Zahn-DNA steht in der Regel im Zusammenhang mit der Erforschung einer Krankheit. Durch die Identifizierung einer bestimmten Krankheit können Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auch Rückschlüsse auf die Lebensweise eines Menschen oder eines Tieres ziehen. Die Bestimmung einer Krankheit ermöglicht außerdem, den Erreger dieser Krankheit zu finden, bei dem es sich in den meisten Fällen um Bakterien und opportunistische Krankheitserreger handelt. So wurden beispielsweise in Studien die Bakterien Yersinia pestis3 und Salmonella enterica serovar typhi4 in alten Zähnen nachgewiesen (siehe Abbildung unten).

Das Bakterium Salmonella enterica serovar typhi (links, https://www.britannica.com/science/Salmonella-enterica-serovar-Typhi) und das Bakterium Yersinia pestis (rechts, https://en.wikipedia.org/wiki/Yersinia_pestis).

Die Justinianische Pest, die über 200 Jahre andauerte, wurde von Y. pestis verursacht, das sich von Asien über die Alpen und ganz Europa ausbreitete5. Es wird sogar vermutet, dass die modernen Stämme dieses Bakteriums von dem Stamm abstammen, der im 14. Jahrhundert die Beulenpest in Europa verursachte. Dies verdeutlicht, wie die Analyse alter DNA dazu beitragen kann, evolutionäre Muster und Veränderungen in bakteriellen Genomen zu verstehen.

Koprolithen
Zu guter Letzt sind Koprolithen – versteinerte Überreste von Fäkalien – zu nennen, die zweifellos die reichste Quelle für alte Mikroorganismen darstellen. Es ist allgemein bekannt, dass der Stuhl Milliarden von Mikroorganismen enthält, und Therapien wie die Fäkaltransplantation werden eingesetzt, um Mikroorganismen von einem Organismus auf einen anderen zu übertragen. In der Hoffnung, uralte Mikroorganismen zu entdecken, werden nun Koprolithen aus einer “mikrobiologischen” Perspektive untersucht.

Hierzu führten Reinhard und sein Forschungsteam eine Studie durch, in der sie Koprolithen untersuchten, die auf dem Colorado Plateau (Utah, USA)6 gefunden wurden. Sie identifizierten bakterielle DNA-Proben, die zu den Alpha-, Beta- und Gammaproteobakterien, Bacteroides, Clostridia, Eubacterium spp. und sogar Vibrio spp. gehören. Dies verdeutlicht die mikrobielle Vielfalt alter Koprolithen.

Bei sorgfältiger Untersuchung könnten die geborgenen Koprolithen eine enorme Menge an Informationen über die Lebensweise, die Ernährungsgewohnheiten und sogar bestimmte kulturelle Normen der Menschen in vergangenen Zeiten liefern. Und da die Zusammensetzung des Mikrobioms in hohem Maße von der Lebensweise und den Ernährungsgewohnheiten abhängt, könnte dies zu einem besseren Verständnis der prähistorischen Welt führen. Ferner könnten Studien auf dem Gebiet der Paläomikrobiologie dabei helfen, eine Verbindung zwischen der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft herzustellen. Durch die Bestimmung der Zusammensetzung alter Mikrobiome lassen sich evolutionäre Veränderungen, die durch Industrialisierung, Globalisierung und moderne Hygienepraktiken entstanden sind, leicht nachvollziehen1. Es liegt auf der Hand, dass sich im Laufe der Zeit die Beziehung zwischen Mensch und Mikroben verändert hat und diese Veränderungen sind buchstäblich im Körper gespeichert.


Link zum Originalartikel: Rivera-Perez, J.I., Santiago-Rodriguez, T.M., Toranzos, G.A. 2016. Paleomicrobiology: a Snapshot of Ancient Microbes and Approaches to Forensic Microbiology. Microbiol Spectr. 4(4). doi:10.1128/microbiolspec.EMF-0006-2015

Titelbild: https://www.istockphoto.com/photo/yellow-cartoon-robot-thinking-about-something-gm871234518-145515783 und mit Biorender.com erstellt.

Quellen:

  1.  Rivera-Perez, J.I., Santiago-Rodriguez, T.M., Toranzos, G.A. 2016. Paleomicrobiology: a Snapshot of Ancient Microbes and Approaches to Forensic Microbiology. Microbiol Spectr. 4(4). doi:10.1128/microbiolspec.EMF-0006-2015
  2.  Cano RJ. 1997. Isolation, characterization, and diversity of microorganisms from amber. Proceedings of SPIE. 3111: 444-451. doi:10.1117/12.278799
  3. Drancourt, M., Aboudharam, G., Signoli, M., Dutour, O., Raoult, D. 1998. Detection of 400-year-old Yersinia pestis DNA in human dental pulp: an approach to the diagnosis of ancient septicemia. Proc Natl Acad Sci USA. 95:12637–12640.
  4. Papagrigorakis, M.J., Synodinos, P.N., Yapijakis, C. 2007. Ancient typhoid epidemic reveals possible ancestral strain of Salmonella enterica serovar Typhi. Infect Genet Evol. 7:126–127.
  5. Harbeck, M. et al. 2013. Yersinia pestis DNA from skeletal remains from the 6(th) century AD reveals insights into Justinianic Plague. PLoS Pathog.
  6.  Reinhard, K.J., Hevly, R.H., Anderson, G.A. 1987. Helminth remains from prehistoric Indian coprolites on the Colorado Plateau. J Parasitol. 73:630–639.

Übersetzt von Mihaela Bozukova