Mikroben auf Diät – Wie Bodenmikroben mit Kohlenhydratmangel fertig werden

                              

Mikrobologie in kleinen Häppchen

Mikroben auf Diät – Wie Bodenmikroben mit Kohlenhydratmangel fertig werden

Unser Planet wird nicht ohne Grund Mutter Erde genannt. Trotz der riesigen Fläche der Ozeane, die den größten Teil unseres Planeten ausmachen, ist der Boden die Triebkraft hinter wichtigen Umweltprozessen bei der Klimaregulierung und der globalen Ernährung. Der Hauptakteur in diesem faszinierenden und komplexen System ist das Bodenmikrobiom (1).

Dabei ist es fast schon die größte Herausforderung das Bodenmikrobiom überhaupt vollständig zu erfassen. Man beachte alleine schon die drastischen Unterschiede in den Umgebungen oder den Bodentypen, die innerhalb desselben Ökosystems existieren. Die Vielfalt ist so groß, dass ein scheinbar homogen wirkendes Bodenökosystem in Wahrheit schon im Abstand von wenigen Millimetern völlig unterschiedliche Mikrobengemeinschaften beherbergen kann. Zu den Einflussfaktoren gehören die Tiefe, der Mineralgehalt, die Pflanzenarten und Wurzelsysteme, die Bodenbelüftung, der Säuregehalt, die Feuchtigkeit, die Entfernung von Tierhöhlen und auch das Vorhandensein von mikrobiellen Räubern – eine schier unendliche Liste von Faktoren, die alle die Zusammensetzung und die Stoffwechselfunktionen von mikrobiellen Gemeinschaften drastisch beeinflussen können (1). Bodenwissenschaftler haben jedoch einen beunruhigenden Trend innerhalb der „bewirtschafteteten Ökosysteme“ festgestellt, aus denen wir die meisten unserer Lebensmittel beziehen: Der Kohlenstoffgehalt unserer Böden sinkt (2).

Warum ist dies besorgniserregend? Der aktuellen Lehrmeinung zufolge stützt sich das Bodenmikrobiom in erster Linie auf “organischen” Kohlenstoff, d.h. zersetztes Pflanzenmaterial. Die Bodenmikroben und die Fauna bauen diesen zu einem dunklen, kohlenstoffreichen und stabilen Humus ab. Nicht zu verwechseln mit “Hummus”, dem orientalischen Kichererbsengericht. Aber ähnlich wie Hummus eine Delikatesse für uns Menschen ist, ist Humus durch seine grobe Struktur und feuchtigkeitsspeichernden Eigenschaften eine Delikatesse für Bodenmikroben.

Da er eine so wichtige Rolle bei der Stabilisierung des Ökosystems spielt, ist der organische Bodenkohlenstoff (die Gesamtmenge an organischem Kohlenstoff in einem bestimmten Boden) eine in der Landwirtschaft häufig verwendete Kennzahl. Pestizide und der übermäßige Einsatz von Stickstoffdünger im Rahmen der Industrialisierung sowie die Abholzung der Wälder stören den wichtigen Kohlenstoffaustausch. Erschwerend kommt hinzu, dass die verringerte Kohlenstoffbindung zu einem Anstieg des atmosphärischen Kohlendioxids (CO2) führt. Dadurch wird der Treibhauseffekt verstärkt, der nachweislich direkt zur globalen Erwärmung beiträgt (2).

Abbildung 1.  Organischer Kohlenstoffkreislauf im Boden.  Das Bild wurde direkt und ohne Änderungen von Ontl, T. A. & Schulte, L. A. übernommen (3)

Glücklicherweise ist auch anorganischer Kohlenstoff in Form von verschiedenen Gasen im Boden vorhanden. Dieser kann als alternative Kohlenstoffquelle für Mikroorganismen im Boden dienen. Bis vor kurzem dachten Forscher, dass nur eine seltene Untergruppen von Bodenmikroorganismen, die in extremen Umgebungen mit wenig organischem Kohlenstoff leben, anorganischen Kohlenstoff, wie Kohlenmonoxid (CO) und andere Spurengase, verwenden können (1,4,5).

Um die Rolle des Bodenmikrobioms im anorganischen Kohlenstoffkreislauf besser zu verstehen, sequenzierte das Team von Sean Bay die Metagenome (d.h. das gesamte Genmaterial) von Bodenproben aus vier verschiedenen australischen Ökosystemen (4). Diese hochqualitativ zusammengestellten Genome aus Feuchtgebieten, Grasland, Wäldern und Trockengebieten gaben Aufschluss über das funktionelle Potenzial der Bodenmikroorganismen. Diese Mikroorganismen gehörten zu 26 bakteriellen und fünf archäischen Gruppen (Phyla). Die Hälfte der entdeckten Bakterien waren dabei solche, die man überall auf der Welt im Boden finden kann. Weiterhin fand das Forschungsteam heraus, dass im Durchschnitt 72 % der Bakterien die nötigen Geninformationen für Enzyme besitzen, die anorganische Kohlenstoffquellen nutzen können (Abbildung 2).

Figure 4

Abbildung 2. Eine Abbildung verschiedener Bakterienphyla, die Wasserstoffgas, Kohlenmonoxid und Spurenmetalle im Boden fixieren können. Die Enzyme werden durch die roten Formen dargestellt, und jede Farbe entspricht einem Phylum. Diese Abbildung wurde unbearbeitet und ohne Genehmigung des Autors übernommen (5).

Außerdem waren in allen vier Bodentypen Bakterien vorhanden, die anaerobe Atmung betreiben können, d.h. sie sind nicht auf Sauerstoff angewiesen. Dies wurde festgestellt, indem Bodenproben aus verschiedenen Tiefen von allen vier Typen genommen, in ein verschließbare Röhrchen gegeben und nur den Spurengasen ausgesetzt wurden. Bays Team maß den Verbrauch von anorganischen Kohlenstoffen in diesen geschlossenen Systemen. Sie konnten einen signifikanten Verbrauch (Oxidation) von Kohlenmonoxid (CO) und Wasserstoffgas (H2) im Oberboden von Wäldern, Wiesen und Feuchtgebieten nachweisen, und zwar mit bis zu fünfmal höheren Raten als in früheren Studien gemessen. Auch die Feuchtigkeit schien eine Rolle zu spielen, da feuchte Böden anorganische Kohlenstoffe wesentlich effizienter als Energiequellen nutzten als Böden in Trockengebieten. Die metagenomische Untersuchung ergab, dass die Mehrheit der Bakterien Gene für Hydrogenase und CO-Dehydrogenase besitzt – wichtige Enzyme, die an der Oxidation von Wasserstoffgas bzw. Kohlenmonoxid beteiligt sind.

Die Forscher stellten die Hypothese auf, dass diese Bakterien zwar in erster Linie auf organischen Kohlenstoff im Boden angewiesen sind, um zu wachsen, dass sie aber dank ihrer Fähigkeit, Energie aus anorganischem Kohlenstoff zu binden, in einem wechselhaften Ökosystem überleben können. Um den Energiewert von Spurengasen für die Zelle zu bestimmen, verwendete das Team von Bay Modelle zur Vorhersage der Energie, die ein Bakterium aus anorganischem Kohlenstoff gewinnen könnte. Das Forschungsteam kam zu dem Ergebnis, dass die beobachteten Konzentrationen von anorganischem Kohlenstoff gerade so ausreichen, damit die Bakterien in einem statischen Zustand überleben , jedoch nicht wachsen oder sich entwickeln können. Außerdem ist diese Art „Winterschlaf“ nur möglich, wenn die Bedingungen einigermaßen günstig sind – wie etwa durch erhöhte Feuchtigkeit. 

 Abbildung 3. Die y-Achse zeigt den Energiegewinn (Watt pro Zelle), wenn Mikroben aus den vier verschiedenen Bodenumgebungen (x-Achse) verschiedenen anorganischen Kohlenstoffquellen (verschiedenfarbige Gase) ausgesetzt werden. Die Energiemenge, die benötigt wird, um die Energieverbrauchsraten verschiedener Reinkulturen von Bakterien aus dem Bodenmikrobiom (grün, gelb, blau) und aus Tiefseequellen (rosa) aufrechtzuerhalten, ist ebenfalls in der Grafik dargestellt. Diese Werte sind der Literatur entnommen. Dieses Bild wurde direkt aus der Originalarbeit übernommen (4). 

Die Forscher stellten auch fest, dass die Mikroben den anorganischen Kohlenstoff möglicherweise gewinnbringend nutzen könnten, und zwar nicht nur zu ihrem eigenen Nutzen, sondern auch zu unserem. Angesichts des besorgniserregenden Anstiegs des atmosphärischen Kohlenstoffdioxids und anderer Treibhausgase (wie der in diesem Artikel erwähnten anorganischen Kohlenstoffe) ist der Bedarf an Kohlenstoffsenken oder natürlichen Kohlenstoffspeichern stark gestiegen. 

Die bekannteste kohlenstoffbindende chemische Reaktion ist die Photosynthese. Wie du dich vielleicht erinnerst, geht es dabei um die Umwandlung von CO2 und Wasser in Zucker und Sauerstoff durch die Nutzung der Sonnenenergie. Da die großflächige Abholzung der Regenwälder diese wichtige Kohlenstoffsenke beeinträchtigt, ist es eine kleine Erleichterung zu entdecken, dass bestimmte Bodenbakterien auch Gene aufweisen, die zur Chemosynthese fähig sind. So wird das weiter oben beschriebene Phänomen der Bindung von anorganischen Gasen zur Energiegewinnung nämlich auch genannt.

So spannend diese Wege auch sind – die Realität ist, dass Spurengase mit zunehmender Bodentiefe nicht mehr in ausreichender Menge und gleichbleibend verfügbar sind. Daher ist die Wahrscheinlichkeit, dass Bakterien völlig unabhängig von organischem Kohlenstoff im Boden überleben können, recht gering. Es wäre jedoch denkbar, stark beanspruchte und kohlenstoffarme Böden künstlich zu belüften, um den Zugang von Bodenbakterien zu Spurengasen zu verbessern (4).

Abbildung 4. Das Bild wurde ohne Genehmigung des Autors direkt von dieser Website kopiert.

Die Suche nach zusätzlichen Kohlenstoffquellen für das Bodenmikrobiom ist eine spannende Angelegenheit. Die Widerstandsfähigkeit und Ausdauer dieser Mikroben machen den Boden zu einer der am dichtesten besiedelten Ansammlung von Bakterien (1) und zu einem der Hauptakteure bei globalen Ernährungsprozessen. Solange wir jedoch unser neu gewonnenes Wissen nicht nutzen können, um das Problem des geringen Kohlenstoffgehalts in bewirtschafteten Boden zu lösen, werden die Bodenbakterien von Humus träumen müssen, während sie niedrige Konzentrationen anorganischen Kohlenstoffs aufnehmen, um zu überleben. 

Link zum Originalartikel:

  1. Fierer N. Embracing the unknown: disentangling the complexities of the soil microbiome. Nature Reviews Microbiology. 2017 Oct;15(10):579-90.
  2. Wiesmeier M, Poeplau C, Sierra CA, Maier H, Frühauf C, Hübner R, Kühnel A, Spörlein P, Geuß U, Hangen E, Schilling B. Projected loss of soil organic carbon in temperate agricultural soils in the 21st century: effects of climate change and carbon input trends. Scientific Reports. 2016 Sep 2;6(1):1-7.
  3. Ontl TA, Schulte LA. Soil carbon storage. Nature Education Knowledge. 2012;3(10).
  4. Bay SK, Dong X, Bradley JA, Leung PM, Grinter R, Jirapanjawat T, Arndt SK, Cook PL, LaRowe DE, Nauer PA, Chiri E. Trace gas oxidizers are widespread and active members of soil microbial communities. Nature Microbiology. 2021 Feb;6(2):246-56.
  5. Ji M, Greening C, Vanwonterghem I, Carere CR, Bay SK, Steen JA, Montgomery K, Lines T, Beardall J, Van Dorst J, Snape I. Atmospheric trace gases support primary production in Antarctic desert surface soil. Nature. 2017 Dec; 552 (7685):400-3.

Titelbild: Photograph by Lance Chung


Übersetzt von Florian Theßeling