Vom Blattgemüse zur Stinkbombe

                                

Mikrobologie in kleinen Häppchen

Vom Blattgemüse zur Stinkbombe.

Die Bakterien, die unseren Darm bevölkern, haben einen großen Einfluss auf unsere Gesundheit, vor allem durch die Umwandlung von Nährstoffen in aktive Verbindungen, wie den berüchtigten stinkenden Schwefelwasserstoff (H2S).

Schwefelwasserstoff verleiht dem Duft von Fürzen nicht nur eine feine Note von faulen Eiern, sondern hat je nach seiner Konzentration im Darm sowohl positive als auch schädliche Auswirkungen auf uns. Niedrige bis mittlere Konzentrationen haben eine antioxidative Wirkung und tragen zum Stoffwechsel der Mitochondrien bei, den Zellorganellen, die aus Nährstoffen Energie gewinnen. Hohe Konzentrationen hingegen können Darmentzündungen auslösen.

Unser Darmmikrobiom, das hauptsächlich aus Hunderten von Bakterienarten besteht, produziert Tausende von verschiedenen Molekülen. Es ist seit langem bekannt, dass Darmbakterien aus Cystein, einer Aminosäure, die in Fleisch, Ei und einigen Hülsenfrüchten wie Soja vorkommt, Schwefelwasserstoff produzieren können. Dennoch sind die metabolischen Fähigkeiten unserer Darmbakterien enorm und noch weitgehend unbekannt. Hanson und Kollegen stellten die Hypothese auf, dass unser Darmmikrobiom Schwefelwasserstoff auch aus anderen Nährstoffen als Cystein produzieren könnte, und sie hatten Recht.

Chemische Strukturen von Sulfoquinovose und Glucose. Erstellt mit Chemwriter.com

Die Autoren hatten einen Nährstoffkandidaten im Auge: Sulfoquinovose, ein Zucker, der chemisch der Glukose nahe steht und eine Sulfogruppe (Schwefel und 3 Sauerstoffatome) aufweist. Dieser Zucker ist ein Bestandteil von Sulfolipiden, die in Pflanzen zu finden sind, die Photosynthese betreiben. In unserer Ernährung finden wir sie in allen grünen Blattgemüsen wie Salat, Spinat, Grünkohl und grünen Zwiebeln, wo sie mehr als 25% der gesamten Lipide ausmachen können. Um herauszufinden, ob Darmbakterien Sulfoquinovose in Schwefelwasserstoff umwandeln können, haben die Autoren den Stuhl von 8 Freiwilligen gesammelt, verdünnt und zusammengeführt, dann Sulfoquinovose hinzugefügt und die Produktion von Schwefelwasserstoff gemessen. Am Ende dieses schmackhaften Experiments enthielten nur die mit Sulfoquinovose angereicherten Proben Schwefelwasserstoff.

Aber welche der Hunderte von Bakterienarten, die im Stuhl vorhanden waren, waren daran beteiligt? Die Analyse der kultivierten Proben zeigte, dass insbesondere zwei Bakterien in Abwesenheit von Sulfoquinovose abnahmen und in Anwesenheit von Sulfoquinovose gediehen: Eubacterium rectale und Bilophila wadsworthia.

Visuelle Darstellung des Einflusses von Sulfoquinovose auf die H2S-Produktion und die Zusammensetzung des Ökosystems. Angepasst von Hanson et al.

Dies veranlasste die Autoren, weitere Laborexperimente mit diesen beiden Arten durchzuführen und ihre Genome zu analysieren. Es stellte sich heraus, dass Eubacterium rectale Sulfoquinovose zur Energiegewinnung vergärt. Das Endprodukt der Fermentation, DHPS (2,3-Dihydroxypropan-1-sulfonat), ist für E. rectale nicht mehr nützlich und wird daher vom Bakterium ausgeschieden. Dann nimmt Bilophila wadsworthia DHPS auf, extrahiert das Sulfit (SO3) aus DHPS und verwendet es zusammen mit dem aus Gallensäuren gewonnenen Taurin zur Energiegewinnung durch anaerobe Atmung. Bei dieser Atmung entsteht Schwefelwasserstoff, das stinkende H2S, das von Bilophila wadsworthia abgesondert wird.

Zusammenfassung der Stoffwechselprozesse, die zur Produktion von Schwefelwasserstoff führen. Angepasst von Hanson et al.

Eubacteria rectale und Bilophila wadsworthia arbeiten also als Team, um Schwefelwasserstoff aus grünem Blattgemüse und Gallenbestandteilen zu produzieren. Im Allgemeinen wird davon ausgegangen, dass Darmbakterien als Ökosystem funktionieren, das zahlreiche Kreuzfütterungen zwischen verschiedenen Arten umfasst, d. h., dass die Abfälle einiger Bakterien die Nahrung anderer sein können. Dennoch sind nur sehr wenige Kreuzfütterungsvorgänge so detailliert beschrieben worden. Außerdem stellt diese Arbeit ein Gegenbeispiel für die Theorie dar, dass mehrere Arten dieselben chemischen Reaktionen durchführen können, da fast nur Eubacterium rectale Sulfoquinovose in DHPS umwandeln und nur Bilophila wadsworthia Taurin und DHPS zur Herstellung von Schwefelwasserstoff verwenden kann.

Diese Forschungsarbeit unterstreicht die Rolle spezifischer Nahrungsbestandteile für die Aktivität von Darmbakterien und deren Erscheinungsformen wie den Geruch von Blähungen. Sie zeigt auch die Auswirkungen der Aufnahme bestimmter Nährstoffe auf die Gesundheit in Abhängigkeit von der Zusammensetzung des Darmmikrobioms. 


Link zum Originalartikel: Buck T. Hanson, K. Dimitri Kits, Jessica Löffler, Anna G. Burrichter, Alexander Fiedler, Karin Denger, Benjamin Frommeyer, Craig W. Herbold, Thomas Rattei, Nicolai Karcher, Nicola Segata, David Schleheck & Alexander Loy, Sulfoquinovose is a select nutrient of prominent bacteria and a source of hydrogen sulfide in the human gut, The ISME Journal, 2021

Titelbild: pixabay


Verfasst von Tiphaine Le Roy

Übersetzt von Anne Pfitzer