
Mikrobologie in kleinen Häppchen
Hallo Bakteriophagen, auf Wiedersehen Antibiotika?

Diese Nanorobotern ähnelnden Mikroorganismen sind Viren, genauer gesagt Bakteriophagen, da sie ausschließlich Bakterien infizieren und zersetzen (lysieren). Bakteriophagen wurden 1915 von Frederick Twort in England und 1917 von Félix d’Herelle in Frankreich entdeckt. Letzterer setzte diese Entdeckung als Erster zur Behandlung von Infektionen im Gesundheitswesen ein.
Félix d’Herelle arbeitete am Institut Pasteur und untersuchte die Auswirkungen der Ruhr – auch Dysentrie genannt – auf Kinder. Die Dysenterie ist eine Infektionskrankheit, die durch das Bakterium Shigella verursacht wird und zu jener Zeit oft tödlich verlief. d’Herelle fand im Stuhl von Kindern einen Mikroorganismus, der Bakterien abtöten kann. Dieser Mikroorganismus wurde interessanterweise immer bei Patienten im Genesungsprozess gefunden. Daraufhin isolierte er diesen Mikroorganismus und nannte ihn Bakteriophagen. Mit Hilfe der Bakteriophagenkultur behandelte und heilte er mehrere Kinder in einem kritischen Stadium.

Von da an wurde die Phagentherapie zur Behandlung von Infektionen eingesetzt, bevor die Antibiotika entdeckt wurden. Leider handelt es sich bei Antibiotika um chemische Verbindungen, die sich leicht untersuchen lassen, während die komplexeren Phagen, eine riskantere Alternative darstellen. Phagen können mit menschlichen Membranen interagieren, in die Blutgefäße eindringen und mit Gewebe interagieren, das nicht das primäre Zielgewebe war. Bislang gibt es jedoch keinen Beweis dafür, dass sie in unserem Körper Nebenwirkungen verursachen können. Außerdem infiziert ein Phage nur eine bestimmte Bakterienart. Interessante Phagen müssen ausgewählt und zu einem Cocktail gemischt werden, um eine maximale Wirkung zu erzielen, aber diese Cocktails sind oft instabil, so dass die Phagen nicht immer aktiv bleiben. Dies vermindert die Wirkung der Phagenbehandlung.

Aufgrund dieses Unterschieds zwischen der Phagentherapie und den Antibiotika wurden Antibiotika zur vorherrschenden Methode zur Behandlung von Infektionen. Die Resistenz von Bakterien gegen Antibiotika wurde jedoch in den letzten Jahren zu einem echten Problem bei der Bekämpfung von Infektionen. Die Suche nach einer Alternative führte uns zurück zu den Phagen. Da Bakterien in der Lage sind, sich weiterzuentwickeln und eine Antibiotikaresistenz zu erwerben, können sie auch gegen Phagen resistent werden. Phagen können sich jedoch auch weiterentwickeln und wären somit weiterhin in der Lage, die Bakterien zu abzutöten.
Seit ihrer Entdeckung wurde die Phagentherapie hauptsächlich in Frankreich und der Sowjetunion eingesetzt. Während sich Frankreich nach dem Zweiten Weltkrieg auf die Behandlung mit Antibiotika konzentrierte und die Bakteriophagen nur noch für experimentelle Behandlungen oder Forschungszwecke einsetzte, konzentrierten sich die Sowjetunion und Polen auf Phagen zur Behandlung von Infektionen und begann mit der Kommerzialisierung von Phagentherapien. Phagen wurden zur Behandlung aller Arten von Infektionen wie Cholera, Abszessen, Infektionen nach Operationen und Transplantationen, Hautinfektionen, Peritonitis, eitrige Wunden, Vaginitis, Mastoiditis, Atemwegsinfektionen und vielen mehr eingesetzt. In jüngster Zeit haben auch die USA und Belgien zugestimmt, Phagen unter bestimmten Umständen zur Behandlung zuzulassen. Die verschiedenen Präparate können lokal angewendet, oral eingenommen, injiziert oder sogar inhaliert werden.
Ein kürzlich durchgeführtes Projekt mit der Bezeichnung RAPID Pneumophage unter der Leitung des französischen Unternehmens Pherecydes pharma, das Phagencocktails entwickelt, zeigte die Wirkung von inhalierten Phagen bei beatmungsassoziierter Lungenentzündung. Patienten die an dieser durch Intubation oder Beatmung verursachten bakteriellen Infektion leiden, haben normalerweise eine Sterblichkeitsrate von 20-30 %. Die Ergebnisse einer Studie an Schweinen zeigten einen Rückgang der Bakterieninfektion um 99 % trotz extremer Beatmungsbedingungen (hohe Strömungsgeschwindigkeit und starker Druck). Diese Ergebnisse sind ermutigend, und die Behandlung wird demnächst bei Patienten mit dieser Art von Lungenentzündung zur Anwendung kommen.
Die Phagentherapie könnte auch im Falle einer Pandemie wie COVID-19 eingesetzt werden. Tatsächlich hatten 50 % der Patienten, die an COVID-19 starben, bakterielle Infektionen wie eine beatmungsassoziierte Lungenentzündung. Außerdem haben Covid-Patienten im kritischen Zustand mehr sogenannte bakterielle Ko-Infektionen als Patienten in einem weniger kritischen Zustand. Häufig sind antibiotikaresistente Bakterien an diesen Infektionen beteiligt, so dass der Einsatz von Antibiotika unwirksam ist. Kürzlich hat die US Food and Drug Administration die Phagentherapie für Patienten mit COVID-19 zugelassen.
Dies ist erst der Anfang der Phagentherapie, und sie könnte schon bald Teil unseres täglichen Lebens sein!
Quellen:
- Stephen T Abedon, Phage treatment of human infections, 66-85, Mar-Apr 2011
- Tomas Haüsler, Viruses vs. Superbugs, 2006
- Pherecydes Pharma preclinical trial results, 2021
Titelbild: Abbildung erstellt von naturalismus auf flickr
Übersetzt von Florian Theßeling