Welchen Ursprung haben Viren?

                              

Mikrobologie in kleinen Häppchen

Welchen Ursprung haben Viren?

Obwohl sie für unser Auge unsichtbar sind, sind Viren überall. Sie können fast alles infizieren, Pflanzen, Tiere, Bakterien und sogar andere Viren – man kann ihnen nicht entkommen!  Dennoch ist das Verständnis ihres Ursprungs ein langwieriges Problem für die wissenschaftliche Gemeinschaft. 

Viren sind in der Tat ganz anders als wir. Sie bestehen nicht aus Zellen, sondern sind eher eine Ansammlung von Molekülen, die in einer Form organisiert sind, welche die viralen Gene schützt und den Gentransport zu einer Wirtszelle ermöglicht. Diese Gene sind auf das Nötigste reduziert, d. h. auf das, was den Eintritt des Virus in die Wirtszelle und die Bildung von neuen Viren ermöglicht. Die Viren nutzen dazu das zelluläre System des Wirts aus, um ihre Gene abzulesen und ihre Informationen in neue Viren umzuwandeln. 

Da sie nicht in der Lage sind, sich selbst zu vermehren, wurden sie von der Welt der Lebewesen ausgeschlossen. Klassischerweise wird diese in drei Zweige – Bakterien, Archäen und Eukaryoten – unterteilt, die durch einen gemeinsamen Vorfahren verbunden sind, sich allerdings in verschiedenen Merkmalen unterscheiden. Viren gehören zu keinem dieser Zweige. Im Jahr 2003 hat jedoch die Entdeckung von ganz besonderen Viren, den so genannten Riesenviren, die Wissenschaft aufgerüttelt. 

Diese besonderen Viren haben eine zellähnliche Größe und Komplexität. Sie sind zwar immer noch unsichtbar, aber Riesen im Vergleich zu anderen Viren (Abbildung 1 zum Größenvergleich). Noch verblüffender ist, dass sie anscheinend über die erforderliche Maschinerie verfügen, um ihre genetische Information selbst zu entschlüsseln (siehe hierzu den Artikel “Mimivirus – a giant in a small world.” (Englisch)). Diese kolossalen Viren werfen in der wissenschaftlichen Gemeinschaft eine wichtige Frage auf: Gehören alle Viren zu einem vierten und spezifischen Evolutionszweig? Nach dieser Hypothese hätten sie sich aus einem zellulären Organismus entwickelt und dann einen Verlust an zellulären Komponenten und eine genetische Vereinfachung erfahren. 

Oder sind diese Riesenviren die Nachkommen eines virenähnlichen, nicht zellulären Vorfahren und haben im Laufe der Zeit neue Bestandteile erhalten?

Abbildung 1: Größenvergleich zwischen zwei klassischen Viren (Adenovirus und Humanes Immundefizienz-Virus (HIV)) und einem Riesenvirus (Familie der Mimiviren). Abbildung erstellt mit Servier Medical Art resources, adaptiert von Mitch Leslie, Science, 2017.

Das Forscherteam um Frederik Schulz in den USA hat versucht herauszufinden, welche Hypothese über den evolutiven Ursprung der Viren am wahrscheinlichsten wahr ist. Sie identifizierten und beschrieben alle Gene aus einer Familie von Riesenviren, den Klosneuviren. So konnten sie diese Gene mit denen klassischerer Viren, wie dem Pockenvirus, vergleichen und dann anhand der festgestellten Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen den Viren den Stammbaum der Klosneuviren erstellen. 

Anschließend verglichen sie auch die Gene der Riesenviren mit denen ihrer potenziellen Wirte. Auf diese Weise sollte festgestellt werden, ob die Gene, die das autonome Funktionieren der Riesenviren ermöglichen, von ihrem zellulären Wirt übernommen wurden oder ob sie spezifisch für diese Viren sind. Die Studie des Teams um Schulz zeigte, dass die viralen Gene denen der Algen sehr ähnlich sind. Algen sind der Hauptwirt der untersuchten Klosneuviren. 

Diese Genomvergleiche haben daher die Hypothese eines virusspezifischen vierten Zweigs unter den Lebewesen ausgeschlossen. Im Gegenteil, sie bestätigen, dass Riesenviren nur eine seltsame Familie unter allen anderen Viren sind. Sie haben lediglich einige Gene von ihrem Wirt gestohlen und so ihr genetisches Material und damit ihre Größe erweitert!

Riesenviren sind also ungewöhnlich unter ihren Artgenossen, aber sie sind leider nicht das fehlende Glied, um den Ursprung der Viren in unserer Welt zu verstehen. Eines ist sicher: Viren sind zahlreich, allgegenwärtig und vielfältig, und wir wissen nicht, welche anderen seltsamen Viren wir noch entdecken werden. 


Link zum Originalbeitrag: Giant viruses with an expanded complement of translation system component. Schulz et al. 2017. Science.

Titelbild: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Megavirus.jpg

Übersetzt von Florian Theßeling