
Mikrobologie in kleinen Häppchen
Pilze: Die Eismaschinen der Natur
Entgegen der landläufigen Meinung gefriert Wasser nicht bei 0 ˚C. Zwar ist die Eisbildung unter 0 °C thermodynamisch günstig; Eis kann jedoch nur entstehen, wenn sich die Wassermoleküle zu kristallinen Gebilden anordnen. Reines Wasser muss Temperaturen von bis zu -46 ˚C erreichen, bevor es kristallisiert. Die Kristallisation kann jedoch mit etwas Hilfe auch bei wärmeren Temperaturen stattfinden. Wenn Verunreinigungen im Wasser vorhanden sind, können die Wassermoleküle auf eine bereits vorhandene Struktur aufbauen, statt spontan zu kristallisieren. Dieser Prozess, der die Bildung von Eiskristallen in Gang setzt, wird als Keimbildung oder Nukleation bezeichnet. Abiotische Eiskeimbildner können die Gefriertemperatur auf einen Wert zwischen -30 ˚C und -15 ˚C erhöhen.
Eiskeimbildung ist eine Fähigkeit, die bei pflanzenassoziierten Mikroben sehr verbreitet ist. Bei der Infektion frostempfindlicher Pflanzen induzieren Pflanzenpathogene die Bildung von Eiskristallen an der Pflanzenzelle. Dadurch werden die Zellwände aufgebrochen, die Nährstoffe im Zellinneren werden den Erregern zur Verfügung gestellt, und es wird ein Zugangspunkt für die Infektion geschaffen. Umgekehrt kultivieren frostbeständige Pflanzen eiskeimbildende Mikroben als Kommensalen. Die Eiskeimbildung schützt das gesamte Pflanzengewebe durch eine gleichmäßige Eisbildung, wodurch Schäden verhindert werden.
Die am besten charakterisierten Eiskeimbildner stammen von Bakterien der Gattungen Pseudomonas, Pantoea und Xanthomonas. Einige Proteine dieser Gattungen können eine Eiskeimbildung bei Temperaturen bis zu -2˚C bewirken. In jüngerer Zeit wurde außerdem nachgewiesen, dass auch einige Pilzarten Eiskeimbildner produzieren. Dazu gehören Proteine des Pilzes Fusarium acuminatum, die in einer aktuellen Studie untersucht wurden.

Frühere Studien dieser Pilzart haben ergeben, dass die eiskeimbildenden Proteine wahrscheinlich weniger als 30 Kilodalton groß sind. Hierfür wurden Filter mit extrem kleiner Porengröße eingesetzt, mit denen zwar Größenbereiche, jedoch keine exakten Werte bestimmt werden können. Ziel der vorliegenden Studie war es daher, die Proteine weiterführend zu charakterisieren und den Prozess der Eiskeimbildung zu beschreiben.
Zu diesem Zweck reinigten die Forschenden alle Pilzproteine mit eiskeimbildender Aktivität auf und ordneten sie nach ihrer Größe mithilfe der Größenausschlusschromatographie. Bei dieser Methode werden die Proteine über eine mit kleinen Kügelchen gefüllte Säule geleitet. Die Oberfläche dieser Kügelchen ist mit Poren unterschiedlicher Größe übersät. Die kleineren Proteine bleiben in den Poren stecken und werden dort aufgehalten, während die größeren Proteine problemlos an den Poren vorbeiziehen. Am Ende der Säule werden die Proteine gesammelt. Dabei kommen die größeren Proteine zuerst und die kleinsten Proteine zuletzt unten an.

Die Forschenden konnten eiskeimbildende Proteine in unterschiedlichen Größen identifizieren: Die größten Proteine wiesen ein Molekulargewicht von 660 Kilodalton auf, gefolgt von vielen kleineren Proteinen der Größe 12,4 Kilodalton und etwas weniger Proteinen mit einer Größe von 5,3 Kilodalton. Interessanterweise behielten die isolierten Proteine jeder einzelnen Größe ihre Fähigkeit zur Eiskeimbildung bei. Die Forschenden nahmen daher an, dass die kleineren Proteine, also jene mit einer Größe von 12,4 und 5,3 Kilodalton, Untereinheiten der großen Proteine (660 Kilodalton) darstellten.
Eiskeimbildende Proteine anderer Spezies bilden häufig Aggregate aus kleineren Untereinheiten. Im Vergleich dazu sind bakterielle Eiskeimbildner oft am effektivsten, wenn sie an eine Membran gebunden sind. Die von den Forschenden identifizierten eiskeimbildenden Untereinheiten der Pilzproteine wiesen dagegen die einzigartige Fähigkeit auf, mit hoher Aktivität Aggregate in einer zellfreien Umgebung bilden zu können. Die Forschenden schätzten, dass mindestens 150 Untereinheiten, genauer gesagt 150 Proteine mit einer Größe von 5,3 Kilodalton, erforderlich wären, um ein Aggregat zu bilden, das Wasser bei -4˚C kristallisiert.
Eiskeimbildner können für den Menschen in vielerlei Hinsicht von Nutzen sein. Die kontrollierte Kristallbildung beim Prozess des Einfrierens verbessert beispielsweise die Wirksamkeit der Kryokonservierung. Für Forschung und Medizin werden häufig Zellen und Gewebe bei sehr niedrigen Temperaturen gelagert. Doch das Einfrieren birgt die Gefahr von Schäden. Eine gleichmäßige Eiskeimbildung verhindert, dass sich große Kristalle bilden, die die Zellmembranen beschädigen können. Eine Weiterentwicklung der zellfreien Eiskeimbildung, wie sie in dieser Studie beschrieben wurde, könnte die Lebensfähigkeit von eingefrorenen Zellen erhöhen. Die Anwendungen beinhalten zum Beispiel Zellkultivierung in Laboren und In-vitro-Fertilisation von Patientinnen.
Die Nützlichkeit von Eiskeimbildnern reicht jedoch weit über das Labor und die Medizin hinaus; sie werden auch bei der Wolkenimpfung, auch Cloud Seeding genannt, und der Wetterbeeinflussung eingesetzt. In diesem Kontext sind eiskeimbildende Bakterien bisher am besten charakterisiert. Pflanzenassoziierte Bakterien werden beispielsweise in die Atmosphäre freigesetzt und durch Aufwinde und Stürme in die Luft getragen. In der oberen Atmosphäre katalysieren die Proteine auf den Bakterienmembranen die Eiskristallisation, wodurch Wolken und schließlich Niederschläge entstehen. Für das künstliche Wolkenimpfen wird häufig die anorganische Verbindung Silberjodid verwendet, aber einige bakterielle Präparate werden beispielsweise für künstlichen Schnee eingesetzt.
Die Bio-Präzipitation, also das spezifische Phänomen der Wolkenbildung durch Mikroben und des dadurch entstehenden Niederschlags, ist noch immer nicht ausreichend erforscht. Auch die langfristigen Auswirkungen von Cloud Seeding und Wetterbeeinflussung auf das Klima bleiben ein großes Fragezeichen. Für trockene Regionen könnte das Cloud Seeding einen möglichen Lösungsansatz darstellen; es kann jedoch auch ins Gegenteil umschlagen und zu mehr Trockenheit führen, beispielsweise wenn das Cloud Seeding zu früh stattfindet, während sich die Wolken noch auf ein bestimmtes Gebiet zubewegen. Wiederholtes Cloud Seeding mit Silberjodid stellt außerdem ein Risiko für die Umwelt dar, da sich das Silber im Boden anreichern kann. Deshalb ist die Suche nach Alternativen ein wichtiger Innovationsschritt; und dazu zählen die pilzlichen, eiskeimbildenden Proteinaggregate, die in dieser Studie genauer charakterisiert wurden.
Die Forschung steht noch ganz am Anfang, das volle Potenzial der pilzlichen Eiskeimbildner zu erforschen und auszuschöpfen. Die Fähigkeit der identifizierten Untereinheiten, selbständig und in Abwesenheit des Pilzes zu aggregieren, verspricht aber ein großes Potenzial für Landwirtschaft, Kryokonservierung und Cloud Seeding. Weitere Studien sind jedoch notwendig, um die Sicherheit der Methode sowie die langfristige Unbedenklichkeit für das Klima zu bestätigen.
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übersetzt von: Ann-Kathrin Mehnert