
Mikrobologie in kleinen Häppchen
Ärger mit dem Immunsystem und die Angst, die bleibt
Die meisten Menschen kennen entweder jemanden, der von einer psychischen Störung betroffen ist, oder haben selbst schon eine solche durchlebt. Im Jahr 2019 veröffentlichte die Weltgesundheitsorganisation ihre bisher größte Studie zur psychischen Gesundheit. Darin wurde festgestellt, dass fast 1 Milliarde Menschen mit einer psychischen Störung leben. Die COVID-19-Pandemie hat das Problem noch weiter verschärft: Depressionen und Angstzustände nahmen im ersten Jahr der Pandemie um 25% zu. Im Jahr 2023 klagten in den USA über 30% der Erwachsenen über Symptome von Angst und Depressionen.
Die Ursachen für psychische Störungen beim Menschen sind vielfältig und noch immer unzureichend untersucht. Es ist zwar bekannt, dass genetische Faktoren, Stress und Traumata zu psychischen Erkrankungen beitragen, doch für die Symptome mancher Menschen scheint es einfach keine Erklärung zu geben.
Neue Forschungsergebnisse haben jedoch gezeigt, dass man in bestimmten Situationen seinen Eltern wirklich die Schuld für alles geben kann. Zusätzlich zu all den Komplikationen, die eine Schwangerschaft mit sich bringt, sind schwangere Frauen außerdem anfälliger für virale und bakterielle Infektionen. Wenn der Körper versucht, diese Infektionen zu bekämpfen, wir das Immunsystem aktiviert, was man auch als mütterliche Immunaktivierung bezeichnet.
Die mütterliche Immunaktivierung wurde bereits mit neurologischen Störungen beim Nachwuchs in Verbindung gebracht, darunter zum Beispiel Schizophrenie, Autismus und Depressionen. Warum dies geschieht, ist jedoch nicht ausreichend erforscht. Forschende der University of Southern California und der Emory University School of Medicine untersuchten epigenetische Faktoren, um Antworten auf diese Frage zu finden.
Epigenetische Veränderungen beeinflussen die Genfunktionalität, nicht aber den Code der Erbinformation, also der DNA selbst. Stell dir die DNA als Straße vor. Epigenetische Veränderungen funktionieren wie Ampeln, die dem Körper mitteilen, ob das von einem Gen kodierte Genprodukt produziert werden soll, oder nicht. Diese Veränderungen können zu jedem Zeitpunkt des Lebens erworben werden, und zwar auch bereits im Stadium eines Zellklumpens, der sich gerade erst im Mutterleib entwickelt.
Wissenschaftler stellten die Theorie auf, dass eine mütterliche Immunaktivierung im ungeborenen Fötus epigenetische Veränderungen hervorrufen könnte, die später im Leben Einfluss auf das Verhalten des Kindes nehmen könnten. Um ihre Hypothese zu überprüfen und diese hochkomplexen Prozesse zu untersuchen, nutzten die Forschenden ein Mausmodell und das Zika-Virus. Tiermodelle werden häufig zur Untersuchung der neurologischen Entwicklung verwendet, da Tests an Säuglingen ethisch nicht vertretbar sind. In Tiermodellen wurde zuvor bereits der Zusammenhang zwischen mütterlicher Immunaktivierung und neuropsychiatrischen Störungen bestätigt.
Außerdem war es bereits bekannt, dass das Zika-Virus die Entwicklungsprozesse bei Säuglingen beeinträchtigt, wenn die Mutter infiziert ist. Die Vermutung lag also nahe, dass das Virus auch andere neurologische Störungen wie beispielsweise Depressionen verursachen könnte. Zuvor hatten die Forschenden bereits gezeigt, dass eine mütterliche Zika-Virus-Infektion bei Mäusen zu Autismus-ähnlichen Verhaltensweisen bei den Nachkommen führen kann.
Die Forschenden infizierten also trächtige Mäuse mit dem Zika-Virus und stellten fest, dass ihre Nachkommen Symptome von Angst und Depression zeigten. Dies wurde an der Aktivität der Nachkommen und an ihrer Bereitschaft gemessen, das Gehege zu erkunden. Mäuse mit Ängsten und Depressionen sind weniger aktiv und verstecken sich häufiger als gesunde und glückliche Tiere. Eine höhere Dosis des Virus führte außerdem zu einer stärkeren Ausprägung der Symptome. Der eigentliche Schwerpunkt der Studie war jedoch das Verständnis des zugrunde liegenden molekularen Mechanismus, der diese Depressionen und Angstzustände verursacht.
Die Forschenden untersuchten die Unterschiede in der Genexpression in den Gehirnen der Mäuse. Mäuse, die von Zika-Virus-infizierten Müttern geboren wurden, wiesen eine Dysregulation von Genen auf, die an der Entwicklung beteiligt sind. Insbesondere gab es Unterschiede in der Gruppe der sogenannten “Immediate-Early”-Gene. Diese zeichnen sich dadurch aus, dass sie besonders schnell auf Stimuli wie Hormone, Temperatur und Stress reagieren. Mutationen in diesen Genen wurden bereits mit vielen psychischen Störungen in Verbindung gebracht.

Bei genauerer Betrachtung unterschiedlicher Zelltypen stellten die Forschenden eine starke Dysregulation der Genexpression in hemmenden und erregenden Neuronen fest. Neuronen sind die spezialisierten Zellen, die Informationen im Körper übertragen; erregende Neuronen leiten Informationen weiter, während hemmende Neuronen als Bremse im Kommunikationsnetz fungieren. Dies untermauert die Hypothese, dass die mütterliche Immunaktivierung langfristige Auswirkungen auf Gene hat, die mit neurologischen Funktionen und Neuroentwicklung in Verbindung stehen.
Doch was ist die Ursache für die Dysregulation der Genexpression? Um dies zu beantworten, untersuchten die Forschenden epigenetische Veränderungen im Gehirngewebe der Mäuse. Sie fanden heraus, dass viele negativ beeinflusste Gene Unterschiede in ihrer Methylierung aufwiesen. Das ist eine epigenetische Veränderung, die die Genexpression je nach Ort entweder erhöhen oder verringern kann.
Gene, die mit neuropsychiatrischen Störungen und der Neuroentwicklung in Verbindung gebracht werden, wiesen bei Mäusen mit Zika-Virus-infizierten Müttern eine höhere Methylierung auf. Dies führte zu einer verstärkten Expression dieser Gene und könnte die beobachteten höheren Werte für Depression und Angst erklären. Ebenso beobachteten die Forschenden eine geringere Expression in Verbindung mit epigenetischen Veränderungen bei Genen, die mit der Neuroentwicklung und dem Sozialverhalten in Zusammenhang stehen.
Die mütterliche Immunaktivierung führt also zu einer Dysregulation von Genen, die für die Entwicklung wichtig sind. Die Störung der normalen Gehirnprozesse trägt dann wahrscheinlich zur Entwicklung psychiatrischer Störungen im späteren Leben des Kindes bei.
Angesichts der aktuellen Krise in der psychischen Gesundheit ist es von entscheidender Bedeutung, möglichst viele Faktoren zu identifizieren, die bei der Entwicklung psychischer Störungen eine Rolle spielen. Wenn wir verstehen, wie unsere Umwelt, beispielsweise auch der Mutterleib, uns Jahre später Probleme noch bereiten kann, eröffnen sich Forschenden und Ärzten neue Möglichkeiten, diesen Krankheiten vorzubeugen und sie eines Tages auch zu behandeln.
Ein frühzeitiges Eingreifen bei der Feststellung einer mütterlichen Immunaktivierung könnte das künftige Auftreten von psychischen Störungen verringern. In der Zwischenzeit werde ich wohl einmal meine Mutter fragen, ob sie sich während ihrer Schwangerschaft eventuell eine Erkältung zugezogen hat; das würde eine Menge erklären.
Link to the original post: Ma, L., Wang, F., Li, Y. et al. Brain methylome remodeling selectively regulates neuronal activity genes linking to emotional behaviors in mice exposed to maternal immune activation. Nat Commun 14, 7829 (2023). https://doi.org/10.1038/s41467-023-43497-4
Featured image: Siyba on Pixbay
übersetzt von: Ann-Kathrin Mehnert